Verlorene Platte
eine grafische Aufgabe für die Oberstufe

von Uli Schuster  (!0/2004)

Das Verfahren des mehrfarbigen Hochdrucks von einem Druckstock hat neben seinem ökonomischen Umgang mit Material noch den didaktisch sehr günstigen Nebeneffekt, dass es sehr genau geplant werden möchte, wenn es nicht in die Hosen gehen soll. Schüler aller Altersstufen planen ihre Produkte nicht gern, sie suchen meist den direkten Weg, lernen im praktischen Bereich lieber nach Versuch und Irrtum. Auch wenn solch evolutionäres Vorgehen im Bereich der Kunstpädagogik von vielen Lehrern hoch geschätzt wird, ist doch gelegentlich den Verfahrensweisen ein Vorzug einzuräumen, die eine ästhetische Wirkung kalkuliert ansteuern.
Die Technik soll angeblich von Picasso entwickelt worden sein. Zwischen 1958 und 62 schuf Picasso rund 
150 mehrfarbige Linolschnitte. Nach ersten sehr aufwändigen Drucken fand er zu einem sehr einleuchtenden Schnitt- und Farbkonzept, mit dem drei- und mehrfarbige Drucke aus einer Platte geschnitten werden konnten. Mehrfarbdrucke sind im Kunstunterricht wegen ihres zeitlichen und materiellen Aufwands nicht besonders geschätzt. Wenn sich jedoch der Faktor Materialkosten durch eine kluge Planung senken lässt, kann das vielleicht den mehrfarbigen Druck in der Mittel- und Oberstufe attraktiver machen.

Vorüberlegungen
Bei der Untersuchung von Tontrennungen, die wir im Unterricht live erzeugen mit einer Videokamera, die über einen Mischer an den Beamer angeschlossen ist, können wir über die Helldunkel Verteilung folgende Gesetzmäßigkeit feststellen: Die hellen Tonflächen nehmen immer den größten Raum ein, während die jeweils dunkleren Töne wie auf Inseln aus dem hellen Grund herausragen. Übersetzt in einen Mal- oder Druckvorgang heißt das:
Der hellste Ton, z.B. das Weiß der Papierfläche bedeckt zu unterst die ganze Bildfläche. Die nächste Tonstufe in der Abfolge von hell nach dunkel lässt sich aus der ersten Tonfläche gewinnen, indem man alle Flächenanteile entfernt, die vom hellsten Ton am Ende noch zu sehen sein sollen. Was nicht entfernt wurde wird mit der ersten Druckfarbe eingefärbt, und aufs Papier abgedruckt. Von der Wirkung her spielen nun zwei Flächenformen zusammen, der weiße Rest des unbedruckten Papiers und die erste bedruckte Fläche. Die dritte Tonstufe schwimmt wiederum wie eine Insel innerhalb des Bereichs, der nun auf der Druckplatte noch unbearbeitet blieb. Indem diese Zone nun verkleinert wird, kann sie beim Druck mit der nächsten Farbe nur noch zu einem geringeren Teil überdeckt werden. Die nebenstehende Vorlage enthält 4 Töne, die im Zusammenspiel mit einer Papierfarbe und drei Druckfarben erzueugt werden könnten. Unten die drei Tonflächen isoliert.

Trennung der Tonflächen
erste Druckfarbe
zweite Druckfarbe
dritte Druckfarbe
Bei der Anwendung dieses Verfahrens wird der Druckstock nahezu aufgezehrt, bzw auf die letzte Tonfläche reduziert. Dann ist ein Nachdruck der anderen Farben nicht mehr möglich. Der Drucker muss also bereits von der ersten Druckfarbe die Anzahl von Exemplaren herstellen, die ihm als Auflage vorschwebt.

Rekonstruktion eines Vorbilds
erste Druckfarbe
zweite Druckfarbe
dritte Druckfarbe
Oben die Rekonstruktion eines Drucks von Picasso an der deutlich wird, dass sich das Verfahren auch für ganz andere Motive eignet und auf den Aspekt der Tonflächen nicht reduziert werden kann. Picasso spielt hier zwar auch mit dem Licht, aber er reduziert die Lichtwirkung fast ausschließlich auf die Umrisslinien der Figuren, die hell oder dunkel erscheinen können.
Warum nicht bei Picasso selbst auf Motivsuche gehen? Eine "Sitzende Frau" von 1932, und eine "Frau, sich mit den Ellbogen aufstützend" von 1938, jeweils Ölbilder, werden übersetzt in einen Druck nach der Technik der verlorenen Patte. Das Vorbild darf man hier leider nicht zeigen, weil Picassos nominelle Erben gewisse Rechte besitzen, aber ein geistiges Erbe wird man sich selbst schon anmaßen dürfen. Im Übrigen hat sich Picasso selbst gern in der Kunstgeschichte bedient. Einer seiner ersten Linolschnitte war angelehnt an eine von Cranach gemalte Prinzessin .
Die beiden Formschnitte werden zunächst auf Transparentpapier entworfen. Dabei beginnt man am besten mit der letzten Druckplatte, also dem Schwarzton. Darauf aufbauend ist es leichter, den zweiten Formschnitt zu konzipieren.  Das Transparentpapier hat dem Vorteil, dass man die Form beim Übertragen aufs Linoleum leicht spiegeln kann und dann der Druck die Form wieder seitenrichtig zeigt.
Wer als Lehrer die größere Distanz zum Vorbild wünscht, der kann zu einer der zahlreichen Picassodamen einen möglichen männlichen Partner erfinden lassen.
erste Druckfarbe
zweite Druckfarbe
dritte Druckfarbe

Prüfungsaufgabe
Für eine Schulaufgabe werden vom Lehrer im Prüfungsraum drei verschiedene Stilleben aufgebaut. Die Schüler sollen sich nach kurzer Betrachtung für eines entscheiden und zum Zeichnen darum herum gruppieren. Der erste Teil der Aufgabe besteht darin, in etwa handgroßen Studien nach kompositionellen Lösungen zu suchen. Patrick beurteilt seine erste Skizze als "zu gekünstelt", findet die zweite "zu einfach" und entscheidet sich dafür, die dritte in eine Druckversion zu übersetzen. Bei den ersten beiden Zeichnungen hat er sich zwar an den aufgebauten Gegenständen orientiert, sie aber sehr frei neu gruppiert. Die dritte Version hielt sich genauer an die aufgebaute Gruppierung, und gefiel ihm dann am besten. Er hat sie dafür auf das endgültige Format (ca. A4) vergrößert.
Mit Hilfe von Transparentpapier hat er dann über seiner Zeichnung die drei Tonplatten entworfen.Wenn er es schlau gemacht hat, dann ist er dabei in der umgekehrten Reihenfolge verfahren, wie sie dann beim Druck zur Anwendung kommen. Erst entwirft man die am meisten reduzierte Darstellung, dann einen Mittelton, bei dem man auch auf ausgewogene Flächenverteilung achtet, dann zuletzt den hellsten Ton, dessen Fläche die beiden anderen enthalten muss. Bei der dritten Druckfarbe hat er in meinen Augen einen Fehler gemacht, den er vermutlich beim Druck bereuen würde. Er hat den Rand weggeschnitten, der im ersten und zweiten Zustand die Platte gerenzt und die Walze beim Farbauftrag davon abhält, den Plattenboden mit einzufärben. Ausserdem wird es im nicht mehr so leicht fallen, den letzten Ton passgenau über die anderen zu drucken.
erste Druckfarbe
zweite Druckfarbe
dritte Druckfarbe

Zweite Arbeit
Michael arbeitet bereits in seinen Studien verstärkt mit Licht und Schatten. Das mag auch an den Gegenständen liegen, aus denen sein Stilleben besteht, das mag aber auch ein persönliches Interesse sein. Doch schon in seiner ersten Zeichnung sucht er nach einem Ausschnitt, in dem sich die Formen verdichten. Seine Detailstudien klären zwar die Helldunkel Verhältnisse an der Kanne,  finden aber in die endgültige, stark vereinfachte Lösung keinen Eingang.

Mit Hilfe von Transparentpapier probiert Michael verschiedene Helldunkel Wirkungen aus was sich hier durch ein Rollover simulieren lässt. Nebenbei ergeben sich dabei auch Möglichkeiten für die Verteilung der Tonflächen auf die Druckplatten. Mit breitem Filzstift markiert er die dunklen Flächen und legt den Mittelton in einer Bleistiftschraffur an.

rollover!


Dritte Arbeit
Anette betont bereits in ihrer Zeichnung mit weichem Bleistift die Umrisse der diversen Objekte. Dabei lässt  sie sich aber auch hinreichend auf Körperschatten Helligkeitsunterschiede ein, wodurch ihr der weitere Schritt einer Trennung in zwei Tonflächen nicht mehr schwer fällt. Ihren Entwurf führt sie mit Buntstiften aus. Dabei findet sie zu eleganten Kurven und lässt Nebensächliches weg, wie beispielsweise die Beschriftung auf dem Etikett der Weinflasche.

Literatur:
 Siehe auch eine Seite im KUSEM 
"Tontrennung als Vorarbeit für einen Linolschnitt - Unterrichtseinheit für einen Grundkurs Druckgrafik"