Geometrie und Proportion
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Die Geometrie war dem Renaissancekünstler das Verbindungsglied zur Mathematik und damit zur Wissenschaft. Mit Hilfe der Geometrie ließen sich die Erscheinungen der Natur auf anschauliche Regeln zurückführen. Die Suche nach dem Regelmaß, nach Symmetrie, Harmonie, Rhythmus führte die Künstler zu Erkenntnissen über Proportion und Perspektive. Leon Battista Alberti, Piero della Francesca, Leonardo da Vinci, Luca Pacioli, Albrecht Dürer, sie alle waren auf der Suche nach Erklärungen für das Schöne, für die gute Proportion und die Gesetze der räumlichen Darstellung. Nikolaus von Cusa (1401-64) machte aus der Proportionslehre eine Erkenntnistheorie:
"Jede Forschung ist eine vergleichende mittels einer Proportion"..."Alles werde durch die Kraft der Zahlen geordnet und erkannt"..."Da man einmal zum Göttlichen nur mittels der Symbole gelangen kann, wird er sich der mathematischen Zeichen wegen ihrer unzerstörlichen Gewißheit am passendsten bedienen."
Grundlegende Lehren der Geometrie konnten Künstler bei Euklid nachlesen, wenn sie der griechischen oder lateinischen Sprache mächtig waren. Für spekulatives Denken über kosmische Zusammenhänge und Zahlen war der"Timaios" von Platon eine anregende Quelle. Ficino übersetzte ihn 1483 neu. Solche Übersetzungen gehörten zu den großen Leistungen der Humanisten. Zusammen mit dem Buchdruck war das die Grundlage für die Erneuerung des antiken Wissens. Auf Dürers Kupferstich "Melancolia" hinterließen Ficinos eigene Schriften über die astrologischen Grundlagen der Charakterlehre einen deutlichen Einfluß. Nebenstehendes Bild von Jacopo de Barbari zeigt Fra Luca Pacioli, einen bedeutenden Mathematiker und Bekannten Leonardos, der mit einer Schrift über die 'göttliche Proportion' - den Goldenen Schnitt - für die Künstler so wichtig war wie für die Kaufleute durch seine Erfindung der doppelten Buchhaltung. Perspektive und Buchhaltung kommen aus demselben rechnenden, kalkulierenden Geist.
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Vitruv ( zur Proportionslehre gibt es eine eigene Seite außerhalb dieses Kapitels)
Ein bis heute im Gebrauch stehendes Verfahren zur ebenmäßigen Proportionierung in Architektur, Plastik und Malerei ist die Anwendung eines modularen Prinzips. Dabei werden die Maße für ein Teil eines Ganzen entweder durch regelmäßige Teilung gefunden, oder das Ganze wird als Vielfaches eines zum Maß bestimmten Teils erklärt. So wird bei der Porportionierung der menschlichen Figur gerne die Kopf- oder Gesichtslänge als Modul = Maßeinheit bestimmt, mit deren Hilfe sich die Figur und ihre Teile als Vielfaches ausdrücken lassen. Bei Vitruv wird umgekehrt die Körpergröße zur Einheit erklärt, deren Teile als Quotienten darstellbar sind.