In den Traktaten der Kunsttheoretiker finden sich zahlreiche methodische
Richtlinien für das Zeichnen der menschlichen Figur, aber auch Warnungen
vor einem Übereifer, in den leicht verfällt, wer es ganz genau
wissen will.
Michelangelo
sagt: "Zeichne Antonio, zeichne Antonio und verliere keine Zeit!"
Dürer sagt: "Aber so du wol messen
hast gelernt...also daß du ein Ding aus freier Gewißheit kannst
machen...alsdann ist nit allweg not ein Ding allweg zu messen...alsdann
ist die geübt Hand gehorsam."
Alberti sagt: "Wenn du einen Akt malst,
beginne mit den Knochen, füge dann die Muskeln hinzu und bedecke darauf
den Körper mit Fleisch."
Leonardo sagt: "Mache nicht alle Muskeln
deiner Gestalten sichtbar, auch wenn sie sich an ihrem richtigen Platz
befinden, treten sie nicht besonders hervor, wenn die Glieder, zu denen
sie gehören, nicht in großer Kraftanstrengung sind. Und die
Glieder, die keine Funktion ausüben, sollen keine Muskeln aufweisen.
Und wenn du anders verfährst, dann bildest du eher einen Sack Nüsse
als einen menschlichen Körper ab." |
Was in den Darstellungen der menschlichen Figur naturgetreu
und realistisch wirken mag, ist in vielfacher Hinsicht durchdrungen von
rationalen Überlegungen, Messungen, Regeln. Wenn die Zeichnungen meist
nicht konstruiert und gewollt wirken, dann steht dahinter eine meisterliche
Beherrschung der zeichnerischen Form, die sich die Künstler mit viel
Fleiß und endloser Übung im Streben um ein naturgemäßes
Erscheinungsbild der Dinge erarbeitet haben, weil sie in der 'Natur'
ihr Ideal sahen. |