Beim Röntgenarzt
Eine sich entwickelnde Unterrichtseinheit für die 7. Jahrgangsstufe
 

von Uli Schuster

Wenn man ein Thema nicht vorab in allen seinen Möglichkeiten entfalten will oder wegen seiner Komplexität auch gar nicht vernünftig entfalten kann, empfiehlt sich ein Vorgehen in Arbeitsschritten, die dem Auffassungsvermögen der Kinder entsprechen und die jeweils die Arbeitszeit einer Unterrichtseinheit ohne zu viel Luft strukturieren. Ich zerlege das Thema also in mehrere Teilaufgaben und beginne in diesem Fall mit einem Raumproblem. Die Schüler haben offenbar mit Parallel- oder Zentralperspektive noch keine systematischen Erfahrungen gemacht, und sollen bei dieser Arbeit intuitiv an die Probleme herangeführt werden. Es wird also weniger nach Darstellungsfehlern gefragt, als nach Problemen bei der Darstellung. Wer hat welche Probleme, und wer kann dazu welche Lösungen anbieten.
Innenraum: Drei mögliche Konzepte der Darstellung
Im ersten Schritt der hier vorgestellten Arbeit ging es um die Darstellung eines Innenraums. Zusammen mit den Schülern wurden an der Tafel drei mögliche Konzepte entwickelt. 
  • Im einfachsten Fall kann ein Innenraum dargestellt werden, indem man die Bodenfläche gegen eine Rückwand durch eine horizontale Raumlinie abgrenzt. Alle im Raum befindlichen Gegenstände stehen dann vor dieser Linie.
  • Mehr Möglichkeiten bietet ein Raum, der durch drei Flächen begrenzt ist, Boden, Rückwand und eine Seitenwand. Besonders interessant könnte ein solcher Raum dadurch erscheinen, dass man Rückwand und Seitenwand durchbricht, etwa durch eine Türe und ein Fenster. Damit eröffnen sich Möglichkeiten, den Innenraum mit einem Aussenraum in Beziehung zu setzen, die Atmosphäre einer Wohnung, eines differenzierten Arbeitsraums darzustellen. In unserem Fall geht es um das Behandlungszimmer eines Röntgenarztes, der wohl auch ein Wartezimmer und ein Labor benötigt.
  • Die vielfältigsten Möglichkeiten bietet eine Darstellung, bei der der Raum wie ein Guckkasten zwei Seitenwände und die Decke sichtbar werden lässt. Allerdings werden dadurch die Probleme bei der Darstellung von Möbeln etwas komplexer wie bei den beiden Vorgängermodellen.
Die Schüler sollten sich für eine der drei Möglichkeiten entscheiden, um in diesem Raum die folgende Situation darzustellen:
Weiterentwicklung: Eine Geschichte frei nach einem Bericht aus der Zeitung
Beim Röntgenarzt
Ein Patient kommt zum Arzt und klagt über stechende Leibschmerzen. Beim Röntgen stellt sich heraus, dass bei einer länger zurückliegenden Operation im Bauchraum ein Instrument, z.B. eine Schere, vergessen wurde.

Der Behandlungsraum muss also eine Einrichtung zum Röntgen besitzen, Arzt und Patient sind anwesend, darüber hinaus kann eine Assistentin eine Rolle spielen, in jedem Fall muss der Charakter des Behandlungszimmers durch Schreibtisch, Liege, Bilder, Schränke, Instrumente etc. deutlich werden.
Farbe soll erst einmal nicht verwendet werden, die Zeichnung ist mit Bleistift auszuführen. Zum Zeichnen von Möbeln und technischem Gerät ist die Verwendung von Linealen angebracht.

Weiterentwicklung: Korrektur von Raumproblemen
Im Verlauf der ersten Doppelstunde kann man eine ganze Reihe von Problemen sammeln, für die sich meist bei den Schülern selbst auch Lösungen finden lassen. Der Autor des linken Bildes vermischt, wie das in diesem Alter noch gelegentlich vorkommt, ganz verschiedene Ansichten in einem Bild. Als Konzept hat er sich den Guckkasten gewählt, fügt aber das Bild an der rechten Wand (1) oder das Fenster an der linken Wand (4) so ein, wie dies beispielsweise für das mittlere Bild in der unteren Reihe gelten kann, aber bei seinem Konzept so aussehen müsste wie das Fenster im rechten Bild der unten gezeigten Reihe. Der Tisch in seinem Bild (2) ist in einer raffinierten Aufsicht dargeboten, sollte sich dem Raum jedoch besser einfügen wie der Tisch im Vordergrund von Bild 3. Das Möbelstück unter seinem Fenster benützt die Raumkante als Standlinie, sollte aber wie die Bank unter dem Fenster von Bild 3 am Boden vor dieser Raumlinie stehen.
Ein Problem hat der Zeichner dieses räumlich konfusen Bildes allerdings konsequenter gelöst als die Autoren der Beispiele in der unteren Reihe: Wie muss der Patient zum Röntgenapparat ausgerichtet werden? Da er hinter dem Apparat steht, können seine Füsse nicht tiefer im Bild erscheinen als die Stützen des Apparats, die auch auf dem Boden stehen.
Die Schüler sollen erkennen, dass jedes der drei Innenraumkonzepte perspektivisch ein System beschreibt. 
Konzept 1 legt noch keine Richtung nach hinten fest aber: Was weiter vorne im Bild sein soll, rückt tiefer an den Bildrand, was nach hinten gesetzt werden soll, erscheint höher im Bild.
Konzept 2 hingegen legt mit einer Tiefenlinie fest, wie man von vorne nach hinten kommt. Objekte mit rechtwinkligen Flächen, die sich in die Tiefe erstrecken, werden zu Parallelogrammen verzerrt. Die in die Tiefe führenden Linien folgen einer gemeinsamen Richtung.
Konzept 3 verzerrt rechtwinklige Flächen zu Trapezen, wenn sie sich in den Raum hinein erstrecken. In die Tiefe führende Linien, die am Objekt parallel sind erscheinen im Bild aufeinander zulaufend. Wo sie an den Objekten gleich gerichtet sind haben sie im Bild einen gemeinsamen Fluchtpunkt.
 
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Zu Beginn der zweiten Doppelstunde werden exemplarisch einige Schülerarbeiten besprochen und nach Problemen wie nach Lösungsmöglichkeiten gesucht.
Weiterentwicklung: Ein reduziertes Farbkonzept
Auch im Alter von 12 oder 13 Jahren neigen die Jugendlichen noch dazu Farbe extensiv zu nutzen, ein buntes Lokalkolorit einem eher gedämpften Raumklang vorzuziehen. Außerdem hat man ihnen meist früh antrainiert, dass Farbe dick und deckend aufzutragen ist, woher eine berechtigte Angst rührt, dass nämlich beim Kolorieren einer Zeichnung die ganze zeichnerische Mühe umsonst war und die gezeichneten Objekte hinter einer deckenden und mit dem Pinsel schwer kontrollierbaren Fläche verschwinden. Oft haben Schüler Angst vor diesem Schritt von der Zeichnung zur Farbe. Wenn man einen guten Kopierer hat, dann kann man ihnen die Zeichnung als Kopie zum Kolorieren geben, womit beliebig viele Versuche daneben gehen können ohne die Zeichnung zu zerstören.
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Wir machen diesmal für das Kolorieren folgende Regeln aus: Wir begrenzen die Zahl der Farben auf einen Hauptton, den wir in unterschiedlicher Verdünnung (also Aufhellung mit Wasser) und unterschiedlicher Abtönung mit seinem farblichen Komplement variieren. Komplementäre Farben ergeben in der Mischung jeweils Grautöne. Damit besteht die Möglichkeit, den räumlichen Eindruck, den die Perspektive vermittelt durch eine Farbgebung mit helleren und dunkleren Tönen zu unterstützen.
Damit die Farbe sich gleichmäßig auftragen lässt, feuchten (nicht wässern!) wir das ganze Blatt mit einem breiten Borstenpinsel. Das führt dazu, dass sich das ganze Blatt gleichmäßig ausdehnen kann und beim Malen lästige Falten unterbleiben. Falls dennoch Pfützen auf dem Papier entstehen, tupfen wir sie mit einem Papiertaschentuch ab, oder saugen sie mit dem ausgequetschten Haarpinsel ab. Beim Malen beginnen wir mit den großen Flächen der Wände in sehr hellen Tönen und arbeiten uns dann voran zu den kleineren Flächen mit etwas intensiveren Tönen. Das sind ein paar Tricks aus der Malerwerkstatt, die Illustratoren und Aquarellisten bekannt sein sollten.
Weiterentwicklung: Ein Hefteintrag
Bevor die Klasse allgemein damit beginnt ihre Zeichnungen zu kolorieren ist ein Hefteintrag angebracht, der die Regeln dieser Arbeitsphase definiert.
 

Regeln für das Aquarellieren von Zeichnungen:
Es gibt zwei Maltechniken für Wasserfarben: transparentes Kolorieren und deckendes Übermalen. Wir verwenden hier das erste Verfahren.
Das bedeutet:
  • Papier mit Flächenbürste gleichmäßig vorfeuchten - keine Pfützen hinterlassen
  • zuerst: große Flächen (Wände, Hintergründe) mit stark verdünnten Farben anlegen. Dabei breite Pinsel verwenden
  • danach: kleine Flächen mit weniger verdünnten Farben malen. Dabei dünne, spitze Pinsel verwenden

Dieser Hefteintrag kann begleitet werden von Mischversuchen zu diversen Grautönen aus komplementären Farben oder aus dem "Schmutz" der Farbkastenpalette.
Gute Erfahrungen habe ich auch damit gemacht, den Schülern Bilderbuchillustrationen zu zeigen, die auf vergleichbare Weise koloriert sind.

Schülerarbeiten
Am Ende kann man im farbigen Bild entweder mit Bleistift, mit Tusche oder Feinlinienstift die Umrisse noch einmal nachziehen.
Wie immer gibt es einige flotte Arbeiter, die mit ihren Bildern schneller fertig sind als andere. Ihnen kann man eine Kamera in die Hand geben oder noch besser auf einem Stativ montieren, mit der sie einzelne Bildausschnitte herausgreifen, mit deren Hilfe sich das Bildgeschehen als Bildfolge darstellen lässt. Das wertet die ganze Malerei noch einmal kräftig auf und gibt dem Produkt eine mediale Dimension.
Weiterentwicklung: Mediale Aufbereitung
Die nachstehende Darstellung hat nicht die Möglichkeiten von Powerpoint, wo man mit animiertem Text und Wipes von einer Seite zur nächsten die statischen Bilder mit Bewegung versehen kann. Aber es muß auch nicht Powerpoint sein. Auch mit Video und gesprochenem Text lässt sich das ganz hervorragend machen. Und wenn die ersten Versuche gelingen, dann hat man die Klasse schon so weit, dass die Schüler bei der nächsten Arbeit auf einen Film hinsteuern wollen.