Morphing im Daumenkino

Eine nicht ganz einfache Aufgabe für etwa 10 Einzelstunden in der Oberstufe

von Markus Grimm, Seminar 2006/08i Schuster 2006
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Die schrittweise Verwandlung einer Form in eine andere ist unter dem alten Begriff Metamorphose ein beliebtes Thema im Kunstunterricht. Als digitale Tricktechnik kam dieses Verfahren, nun Morphing genannt, Anfang der 90er Jahre zu neuen filmischen Ehren. Bis heute prominentestes Beispiel für den Einsatz dieser Technik ist der Videoclip zu Michael Jacksons Black and White. Am Ende dieses Musikvideos tanzt eine Person in Großaufnahme vor der Kamera und mutiert zum Rhythmus der Musik immer wieder zu einem neuen Individuum. Was damals noch für große Verwunderung sorgte, ist heutzutage ein gängiges Verfahren, um den filmischen Übergang zwischen zwei Bildern weich zu gestalten. Computerprogramme, die dieses leisten, kann man sich kostenlos aus dem Netz herunter laden. Aber auch Zeichenprogramme wie Illustrator besitzen die Funktion aus zwei Formen beliebig viele Zwischenschritte zu erzeugen. Während man bei der Anwendung dieser Programme allerdings ebenso wenig Einfluss auf die Form der Übergangsstufen, als auch Einblick in die Funktionsweise dieser Technik hat, kann das abgewandelte analoge Verfahren mit Papier und Stift eine ebenso anspruchsvolle wie effektvolle Aufgabenstellung für den Unterricht in der Oberstufe darstellen.

Aufgabe
Für Sitzpläne fotografieren wir zu Beginn eines Schuljahres gern alle Schüler durch. Das kann man in der Oberstufe normalerweise auch die Schüler selbst machen lassen. Wie daraus durch Tontrennung die für diese Arbeit geeigneten Ausgangsbilder hergestellt werden können ist im KUSEM in der Unterrichtseinheit "Tontrennung" beschrieben. 
Den Schülern stehen dann jeweils zwei Portraitaufnahmen zur Verfügung, die mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms in holzschnittartige Schwarzweiß-Grafiken umgewandelt und zusammen mit einem Linienraster auf eine etwa 5x10 cm großen Vorlage gedruckt wurden. Aus den im Laufe der folgenden Unterrichtssequenz entstehenden Zwischenschritten soll schließlich ein Daumenkino entstehen, in dem das Ausgangsportrait zunehmend abstrahiert wird und sich schließlich in das Endportrait verwandelt. 

Technisches
Zunächst scheint es mir sinnvoll auf den Unterschied zwischen Überblendung und Morphing hinzuweisen. Eine als einfache Überblendung nachgebaute Szene aus dem Michael-Jackson-Video kann am Ende dieses Artikels herunter geladen werden. Sie sollte im Vergleich mit dem Originalclip deutlich machen, dass es sich dabei jeweils um eine völlig andere Technik handelt. Bei der Überblendung, wo einfach ein Bild abgedunkelt wird, während man das andere einblendet, sind zu jedem Zeitpunkt beide Bilder gleichzeitig sichtbar, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Im Gegensatz dazu muss beim Morphing für jede Phase der Verwandlung ein neues Bild errechnet werden, dass einen genau definierten Zwischenzustand zeigt und damit erst die Illusion einer perfekten Verwandlung schafft. Technisch funktioniert dass, indem man markanten Punkten im Anfangsbild (z.B. Augen, Nasenspitze, Mund, ...) jeweils genau einen entsprechenden Punkt im Endzustand zuweist. Die Rechenarbeit für die Zwischenschritte übernimmt der Computer. Je ähnlicher sich die beiden zu Grunde liegenden Bilder sind, desto überzeugender gelingt das Morphing.

Morphing mit Stift und Papier
Ausgangsbild

Für die konkrete Aufgabenstellung mit Stift und Papier eignet sich die Methode Punkte zuzuweisen nur sehr bedingt. Bewährt hat sich hingegen das Verfahren, das Ausgangsportrait in einzelne Felder aufzuteilen. Gleiches geschieht mit dem Endportrait, wobei die Anzahl der Felder in beiden Grafiken gleich sein sollte. Im Anschluss daran werden für jedes Feld drei Zwischenstufen auf mit dem Raster versehene aber ansonsten leere Vorlagenkartons gezeichnet. Beachten muss man dabei sowohl die sich verändernde Form als auch die Position. Die Komplexität der Aufgabe lässt sich noch steigern, indem die Art und Weise, wie und auf welchem Weg sich ein Feld in der Metamorphose verändert, variiert wird. Anders als bei Computerprogrammen, die das normalerweise linear, d.h. auf dem direktesten Weg erledigen, kann hier zum Beispiel ein schwarzer Schatten in der linken Gesichtshälfte im Halbkreis über das Gesicht fließen, bevor er schließlich in der Haarsträhne auf der rechten Seite aufgeht. 

Rollover macht bei beiden Bildern eine parallele Zählung der Bildfelder sichtbar

Endbild

Arbeit, Arbeit ...
Haben die Schüler die drei Zwischenstufen gezeichnet, geht die Arbeit erst richtig los. Um eine überzeugende Daumenkino-Animation zu erhalten sind mindestens 25 Blätter notwendig. Entsprechend werden jetzt weitere Zwischenschritte gezeichnet und zwischen die bereits fertig gestellten einsortiert.

Mit einer einfachen Klammerbindung und einem sauberen Beschnitt an der Abblätter-Kante kann zum Abschluss die Metamorphose als Daumenkino zum Leben erweckt werden. Man kann eventuell die einzelnen Daumenkinos auch gut abfilmen und dann zu einer Serie zusammenfügen, um wie in dem hier abrufbaren Filmchen die Schüler einer ganzen Klasse der Reihe nach ineinander zu verwandeln...

Zum 'runterladen:
Musterbogen (gif, 4 KB)
Der Beweis, dass es funktioniert (Quicktime-Film, 6,1 MB)

Überblendung „Black & White“ (Quicktime-Film, 1,4 MB)

Michael Jackson morphed sich selbst (Quicktime-Film, 3 MB)

Das Originalvideo „Black & White“ bekommt man am leichtesten und legalsten über iTunes.

Morphing-Software für den PC findet man unter http://www.softonic.de/suche/morphing,
für den Mac unter http://www.norrkross.com/software/morphx/morphx.php.