Giovanni Battista Piranesi,
Blatt 14 der "Carceri d`inventione" Radierung, 1761 (gute Abbildung
in Meisterwerke der Kunst, Sammelmappe I/1974 des Neckar-Verlages in Villingen)
Bildausschnitt
Zur Methode: Um das Bild
und seine Aussage klar zu erfassen, tasteten wir uns vorsichtig an die
Grafik heran. Dies geschah in Form einer gemeinsam erstellten Assoziationskette
aus Wörtern, welche die Radierung charakterisierte, z. B. "tritt
ein" - "schaut hoch" - "Dimension" - "Höhe"
- "Labyrinth" - "Angst" - "eingemauert" -
"Unendlich" - "Wohin?" - "Hilflosigkeit"
- "Sinnlos?"- "sich verirren" - "Weg finden"
- "einsam" - "gefangen" - "Ausweg" - "Geräusche"
- "gespenstisch" - "Fabrikgemäuer" - "Erfindung"
- "kalt" - "Stille" - "Logik?" - "konstruiert"
- "entdecken" - "massigÓ - "weit, jedoch begrenzt!"
- "Perspektive". Die Worte wurden nacheinander von uns ohne zwischenzeitlich
zu sprechen auf einem plakatgroßen Papier notiert. Dieses "Tafelbild"
konnte somit konserviert werden. Da dabei möglichst viele Wahrnehmungskanäle
benutzt wurden, konnte man die Gesamtstimmung gut erfassen. Später
wurden alle möglichen Informationen zu der Entstehungszeit der Radierung
gesammelt. Im Folgenden sollten Verbindungen zwischen der Assoziationskette
und den Zeitfakten hergestellt werden, um anschließend Deutungsansätze
für das Bild zu finden.
Recherchen im Internet
ergaben folgende Links:
1) CJFA- Piranesi: Carceri d'Invenzione- Frontispiece,
First Edition Site created & maintained by Carol Gerten-Jackson ©1996,
1997 http://sunsite.unc.edu/cjackson/piranesi Kommentar: Biographie, Bilder
aus den "Carceri d'Invenzione" + Selbstportrait, Link zu National/Time
Index: Zeitliste plus entsprechende Künstler
2) "Carceri d'invenzione" (print
by Piranesi) http://www-lj.eb.com:82/index.htcl/aDB/index_alpha/thisRow/34301/
Kommentar: Pseudonym Piranesis und ein Bild.
Dieses Prinzip ist gut auf die Untersuchung
von Einzelbildern anwendbar, wenn zunächst 'ohne Worte' gearbeitet
werden soll, was zu erhöhter Konzentration führt.
Tafelbildausschnitt
Zusammenfassender
Text von Cornelia
Giovanni Battista Piranesi war ein italienischer
Kupferstecher, Radierer und Architekt zwischen Barock und Neoklassizismus,
geboren am 04.10.1720 in Mogliano Veneto bei Venedig, gestorben am 09.11.1778
in Rom. Er studierte zunächst in Venedig Architektur. Mit zwanzig
Jahren kam er nach Rom, wo er schon nach drei Jahren (1743) eine Sammlung
von Radierungen unter dem Titel "Prima Parte Di Architetture E Prospettive"
veröffentlichte. 1761 wurde die Reihe von Radierungen, die sich in
der Art zu seinen vorherigen Bildern abhob, ausgestellt: "Di Carceri
D`Iventione" (Erfundener Kerker).
Im Unterricht betrachteten wir uns das 14.
Bild der Carceri-Reihe. Das Bild zeigt eine riesige Halle mit kellerartigen
Gewölben. Viele verworrene, irreführende bis ins Unendliche reichende
Treppen führen in alle Bereiche des Raumes und erwecken die Wirkung
eines Labyrinthes. Die fabrikähnliche Halle ist ausgefüllt mit
Torbögen, Überbrückungen, Fenstern und massiven Säulen.
Im Vordergrund befindet sich ein Bau, von dem aus die Treppen in alle Richtungen
führen und Wege nach links oben und rechts unten freigegeben werden.
Die Treppe, die in der Mitte des unteren Bildrandes beginnt, dient dazu,
den Betrachter geschickt in das Bild hineinzuführen. Der gesamte Hintergrund
besteht aus einer massiven, enormen Steinmauer mit Säulen und Torbögen,
die viele verschachtelte Räume, die noch weiter in den Hintergrund
führen, beinhalten. . Der dargestellte Raum wirkt übermächtig,
da nirgendwo Raumdecken deutlich zu erkennen sind. Trotzdem hat Piranesi
durch Andeuten von Decken und Zeichnen von Bodenebenen und Wänden
eine geschlossene Wirkung und ein eingehendes Gefühl erzielt. Durch
die riesige Größe des Raumes wird dieser von einer Art Kälte,
Stille und auch Leere erfüllt. Zur Umsetzung dieser Radierung wurde
eine grobe Strichführung verwendet, die dabei auch noch einen beeindruckenden
Detailreichtum erschafft, der das Bild interessanter auf den Betrachter
wirken läßt. Die Betonung der Strichführung liegt auf den
Umrißlinien, so z. B. die Steine der massiven Säulen in der
linken Bildhälfte stark mit Linien umrissen, jegliche Binnenlinien
werden jedoch vernachlässigt. Weiterhin werden vorwiegend geometrische
Formen zur Umsetzung verwendet, z. B. Dreiecke, Vierecke, Kreise etc..
Aber auch individuelle Formen, wie z. B. das Seil an dem rechten Bildrand
oder die Personen in der unteren Hälfte des Bildes, werden eingebaut.
Das Bild selber ist größtenteils durch Schattierungen sehr dunkel
gehalten. Nur aus der rechten oberen Ecke fällt Licht von oben ein
und erhellt den Raum. Dieser Kontrast von Hell und Dunkel erzielt die Plastizität
der Objekte und die Räumlichkeit des Kellers. Die verzogene Perspektive
in der Radierung erzeugt die Größenwirkung, die den Raum riesig
bzw. nahezu unendlich wirken läßt: die Bögen verbinden
zum Teil Wände, die gar nicht verbunden werden können. Die Treppen
führen z.T. gegen andere Treppen und können keine logische Funktion
besitzen. Der Standpunkt des Betrachters kann nicht festgelegt werden,
auch die Lichtquelle, welche den Raum erhellt, kann nicht eindeutig ausgemacht
werden. Somit ist der Raum eine perspektivische Erfindung.
Diese Radierung von Piranesi entstand im 18.
Jahrhundert, zur Zeit der Aufklärung. Es war eine Zeit des weltlichen
und geistigen Umbruches, die sich auch auf die Kunst auswirkte. Aus dem
Barock- und Rokokostil wurde, in der Anlehnung an die Antike, durch den
völlig gegensätzlichen Klassismus abgelöst. Während
sich in den älteren Stil viele geschwungene und ausgeschmückte
Formen finden lassen, so beruht der jüngere Klassismus auf klaren
weltlichen und gesetzmäßigen Formen. So wie sich Gegensätze
in den Stilen der Zeit, in der das Bild Piranesis entstand, entdecken lassen,
so unterschiedlich waren auch die Eindrücke, die der Betrachter des
Bildes hatte und die sich in der von uns erstellten Assoziationskette finden
lassen. So traten sowohl die Wörter "Pracht" - "unscheinbar"
- "Schutz" - "Angst" - "wohin" - "eingemauert"
- "gefangen" - "Unendlichkeit" - "weit- jedoch
begrenzt" - "konstruiert" auf.
Im allgemeinem wurde in der Zeit der Aufklärung
(1720- 1785) von Naturwissenschaften und Philosophen eine geistige Bewegung
in Gang gesetzt, eine Geistesbewegung, die rationalistisch und skeptisch
war. Sie strebte die Klärung falscher Vorstellungen durch errungene
Naturwissenschaften an, die Befreiung von Vorurteilen und Autoritätsglauben
bezogen auf die Kirche, sowie eine Weltdeutung ausschließlich durch
Vernunfterkenntnis und naturwissenschaftlich begründbare Kritik. Der
Mensch soll sich nicht in seinem Denken durch überkommene Vorurteile
geschichtlich gewordener Mächte bestimmen lassen, z. B. durch die
Kirche, die Meinung der Gesellschaft oder den Anspruch des Staates, sondern
daß der einzelne alles Bestehende und Überkommene mit seiner
Vernunft überprüfen soll. Der Mensch soll sich durch seine Vernunft
von der Willkür befreien und sein eigenes ICH erforschen.
Piranesi fertigte dieses Bild aus eigenen Empfindungen
an. In dieser Zeit eröffneten sich für den Menschen viele neue
Möglichkeiten, in ihren Vorstellungen nahezu unendlich viele. Daher
zeichnete er ein verzweigtes, unendlich wirkendes, unscheinbares Wegsystem,
dessen Ende noch nicht einmal erahnt werden kann. Doch all diese Möglichkeiten
sind gefangen in einem begrenzten Kerker. Man kann noch so viele Wege ausprobieren
und kann den Kerker doch nicht verlassen. Piranesi war eines nicht entgangen:
die Menschen konnten ihrem "Menschendasein" nicht entfliehen.
Obwohl ihnen neue Möglichkeiten angeboten wurden, konnten sie sich
ihrer Begrenzung durch sich selber und ihrer Gesellschaft nicht entziehen.
Diese Tatsache wirkte auf ihn beengend, er fühlte sich trotz all seiner
neuen Möglichkeiten in seiner Welt und in seinem Dasein gefangen,
wie ein Mensch, der gefangen ist in einem großen düsteren Kerker.
|