Pablo Picasso
Prinzip der erzwungenen Verwandtschaft
Die Schreibbrücke
Dieses Prinzip ist gut auf Vergleiche anwendbar oder immer dann, wenn zwei Partner im Gegenüber betrachtet werden sollen. links: Studie vom 26.
September 1937
VG-Bild-Kunst hat uns die Veröffentlichung
in Rechnung gestellt.
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Auf dem linken Bild ist der Kopf eines Mannes abgebildet, auf dem rechten der Kopf einer Frau. Die Frau hat ein verrücktes Gesicht. Das Gesicht der Frau sieht sterbend aus, das des Mannes tot. Das Tote wird durch die starren Augen und den starren Mund ausgedrückt. Der Gesichtsausdruck auf dem linken Bild ist besser einzuschätzen, weil es genauer ausgearbeitet wurde als das rechte Bild. Das rechte Bild läßt kaum darauf schließen, daß es ein menschliches Gesicht darstellen soll, das linke dagegen läßt keine Zweifel offen, daß es ein Gesicht eines Menschen ist. Die Gesichter der dargestellten Menschen sehen offen aus. Aus dem Hals des rechten Kopfes wird eine 'Schlange', die ins Unendliche führt, beim linken Bild sitzt das Gesicht auf der Spitze eines Aufbaus. Der Aufbau beider Bilder ist ähnlich: auf der jeweils linken Seite befindet sich das Kinn, auf der jeweils rechten Seite die Stirn. Das Profil ist ebenfalls ähnlich, da z.B. auch bei beiden Köpfen kein naturalistisch - realistischer Übergang vorhanden ist. Ein Übergang zur Realität durch teils abstrakte, teils falsche Konstruktion der einzelnen Gliedmaßen ist bei beiden Bildern fast unmöglich, doch denkbar. Es ist denkbar, daß das rechte Bild gar kein Gesicht ist. Bei dem linken Bild schließt sich der Zweifel aus, da viele Elemente deutlich dargestellt sind. Bei dem rechten Bild sind keine Elemente genau ausgearbeitet. Während des spanischen Bürgerkrieges griffen am 26. April 1937 deutsche und italienische Flugzeuge unter dem Befehl von General Franco die baskische Stadt Guernica an, die sich für die Republik entschieden hatte. Stundenlang warfen sie Brand- und Sprengbomben von enormer Durchschlagkraft ab. Von den 7000 Einwohnern wurden 1650 getötet und 889 verletzt. Dieses Ereignis schockierte die ganze Welt: Es war der erste kaltblütige Angriff auf eine Zivilbevölkerung. Der spanische Maler Pablo Picasso (1881-1973) befand sich zur Zeit des Angriffs in Paris und erfuhr durch die dortigen Tageszeitungen von dem Ereignis, zu dem an den folgenden Tagen auch Photos über die zerstörte Stadt und die flüchtende Zivilbevölkerung umhergingen. Im folgenden Monat malte er ein 6 mal 3,50m großes Bild, das den Namen der Stadt trägt: Guernica. Die beiden von uns betrachteten Vorstudien zu dem Bild zeigen eine Frau, die ein totes Kind im Arm hält. In der ersten Ausarbeitung dieses Motives zeigt Picasso die Frau, wie sie den toten Körper ihres Kindes fest an sich drückt und den Schmerz "in sich hineinschreit". Sie scheint, als ob sie in diesem Moment lieber alleingelassen werden möchte und keine Annäherung von Außen duldet. Die Frau und ihr totes Kind bilden eine abgeschlossene Einheit, in die niemand hineinbrechen kann. Selbst der Betrachter des Bildes scheint von dem Geschehen ausgeschlossen zu sein. Er kann das, was in der Frau vorgeht, nur von außerhalb betrachten und deuten. In dieser ersten Ausarbeitung des Motives bleibt Picasso sehr nah an der Natur und zeichnet das Geschehen in weichen organischen Formen. Leichte Ansätze zur Abstraktion sind zu erkennen. Der Körper der Frau wirkt leicht verdreht und einige Körperteile, wie zum Beispiel der Hals, sind in keinem realistischen Verhältnis zur Gesamtperson dargestellt. Durch diese Abstraktion will Picasso die unmenschliche, kaltblütige Tötung der Bewohner Guernicas verurteilen und auf dieses Unrecht aufmerksam machen. Warum Picasso eine zweite Vorstudie von dieser Szene anfertigt, wird klar, wenn man sich beide Ergebnisse ansieht und vergleicht. Vermutlich erschien ihm sein erster Versuch zu harmlos und sanft im Gegensatz zu dem, was in Guernica geschehen ist. Er will die politisch Verantwortlichen anprangern und auf das geschehene Unrecht aufmerksam machen. In der zweiten Ausarbeitung von dem Motiv der Frau mit ihrem toten Kind löst Picasso sich entgültig von allen naturalistischen Elementen und greift auf einfache geometrische Formen und Muster zurück. Durch diese Reduktion auf das Wesentliche gelingt es ihm besser, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Frau hat ihre Arme weit augebreitet und hält sie in dieser Zeichnung weit von sich weg - dem Betrachter des Bildes entgegen und bezieht ihn somit direkt in das schreckliche Geschehen mit ein. Jeder, der dieses Bild betrachtet, wird aufgefordert, über den unsinnigen Krieg und seine Folgen nachzudenken. Den verantwortlichen Politikern hält sie scheinbar den kleinen, toten Körper entgegen, als ob sie sagen möchte: "Schaut euch an, was ihr getan habt! Ihr habt unsere Zukunft und Hoffnung völlig vernichtet." Diese Frau hat keine Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft. Indem Picasso den Raum hinter der Frau komplett schwarz macht, unterstützt er die Wirkung auf den Betrachter, daß nach dem Ereignis totale Leere folgt. Die Frau und das Kind selbst zeichnet er in scharfen, geschnittenen im Gegensatz zu runden, weichen Formen. Alle Regionen das Kind betreffend (z.B. das Kind selbst; die Brust der Mutter; ...) scheinen rundlich und weich gewählt zu sein, was den liebevollen Umgang mit dem Kind zu meinen scheint. Diese weichen Formen werden allerdings - anscheinend plötzlich- von scharfen Strichen gekreuzt und somit zerstört. Picasso zeigt damit den unerwarteten Schmerz, der durch die Bomben in die Stadt gebracht wurde. Die Frau ist völlig verzweifelt und will die politische Situationan anprangern. Diese zweite Ausführung drückt deutlicher die Gefühle aus, die Picasso empfunden haben muß, als die erste, die viel zu personenbezogen wirkt, um die Menschen, die einen sinnlosen Massenmord wie in Guernica mit ihrem Gewissen vereinbaren können, aufzuwecken. |