Perspektive II und Raumgefühl
von Reinhard von Tümpling

In diesem Beitrag will ich das wahrnehmbare Raumgefühl aufzeigen und es verbinden mit der Wiedergabe des Raumes,soweit es der Erfahrungswelt eines Achtklässler entsprechen könnte.

Diese Datei ist eine methodische alternative Umformulierung von:
www.kunstlinks.de/material/vtuempling/perspektive/

Die gezeigten Schülerarbeiten eine 8. Klasse entstammen dem Schuljahr 2004/2005, die Erlaubnisscheine der Erziehungsberechtigten liegen real vor.

 

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Bild: persp41.gif: dieses Vorlagenblatt mussten die Schüler auf A3 vergrößern, zwei Exemplare waren anzufertigen


Bild: persp45.jpg:
Quader in Kabinettprojektion,
mit Licht und Schatten

Bild: persp46.jpg:
Quader auf das nachgezeichnete Raster des
einen Übungsblattes aufgesetzt, Zwischenstufe

Bild: persp42.jpg:
die Perspektive mit einem Fluchtpunkt,
eine Zwischenstufe

Bild: persp43.jpg:
ebenso,
Zwischenstufe

Bild: persp44.jpg:
ebenfalls ein sehr ordentliches
Zwischenergebnis der beiden Bodenblätter

Bild: persp50.jpg:
Figuren auf das Schachbrett aufgesetzt,
geordnet, montiert, farbig schattiert

Es geht mir aber um weiter gefasste Beobachtungen zur Perspektive, die ich aus der eigenen Erlebniswelt gewonnen habe.
lose assoziierte Dateien:
www.kunstunterricht.de/material/vtuempling/dom/
www.kunstlinks.de/material/vtuempling/wieskirche/
www.kunstlinks.de/material/vtuempling/dom3
www.kunstlinks.de/material/vtuempling/greifswald/
www.kunstlinks.de/material/vtuempling/stralsund/

Hilfreich war auch:
http://bg.ken.ch/perspektive/BSP1/perspektive.htm

 


Bild: nikol1.jpg
die Innenansicht des Chores von St. Nikolai in Stralsund, lichtdurchflutet (vom August 2004)

 


Bild: beeskw10.jpg:
(im November 2004)
ebenso aus dem Erlebnis des Lichts heraus

Ich versuche, das subjektiv wahrgenommene Gefühl für "Raum" von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten.

Zum Vergleich:


Bild: zimmer9.jpg
soll das leichtverständlich zeigen
(Quelle: 3D-Haus- und Wohnungsdesigner, home design 3d, 1995,):
Im Klassenraum fehlt die Blickmöglichkeit nach oben und das Raumverständnis für "oben", die realisierten Gegenstände sind horizontal angeordnet und Decke und Boden begrenzen das Wahrnehmbare.
Anmerkung: das Programm hat den dritten Fluchtpunkt und verzerrt dementsprechend


Bild: zimmer10.jpg:
wie z.B. der Lehrer ein Klassenzimmer sieht


Bild: zimmer12.jpg:
wie ein Eintretender ein Klassenzimmer auffassen kann

Ein anderer Vergleich, der Weg auf dem Flur:


Bild: zimmer13.jpg:
entspricht wohl der üblichen Ansicht
eines Erwachsenen...


Bild: zimmer14.jpg:
die Froschperspektive, sehr unüblich...


Bild: zimmer15.jpg:
die Vogelperspektive, ebenfalls sehr
unüblich

Dasselbe sichtbare Problem im Foto:


Bild: flur_1.jpg:
die normale Ansicht für einen Erwachsenen

Bild: flur_2.jpg:
die Froschperspektive von unten rechts

Bild: flur_3.jpg:
die Froschperspektive von der Mitte
des Bodens aus gesehen

Bild: flur_4.jpg:
die Vogelperspektive von oben links

Bild: flur_5.jpg:
die Vogelperspektive von oben rechts

Bild: flur_6.jpg:
aus der Sicht eines Grundschülers heraus gesehen

Bild: vogelp_1.jpg:
das seltenere Bild für den Spaziergänger oberhalb der Stadt, nicht nur wegen der Vogelperspektive,
sondern auch wegen der Helligkeit, das vermittelte Bild entspricht dem von Freiheit


Bild: flur_7.jpg:
völlig unerwartet: der Flur im Dunkeln.

Das Bild entspricht dem von Enge, hat aber auch einen weiteren gänzlich anderen Aspekt.
Wir sehen stets mit den Augen und gehen und bewegen uns in diesem wahrgenommenen Raum und erwarten mit zunehmend erlernter Selbstverständlichkeit, dass die Wirklichkeit der Wahrnehmung entspricht.
Beim dunklen Flur und in einer neuen Situation funktioniert diese Wahrscheinlichkeitsannahme nicht mehr, wir müssen uns auf die anderen Sinne verlassen: das Tasten, das Hören, das Riechen und notfalls auch das Schmecken (Gleichgewichtssinn und weiteres) und kommen über den Vergleich zu einem gleichzeitigen Wahrnehmen von Sinneseindrücken näher. Im besten Fall laufen diese Eindrücke bewusst und parallel ab.
Wir brauchen aber zum Lernen die Fähigkeit zur Besinnung auf das Wesentliche, den statischen und ruhenden Standpunkt.

 


Ich vergleiche noch einmal mit dem vermittelten Raumgefühl von Caspar David Friedrich.


Bild: cdf_9101.jpg:
1807, diese "idealische" Landschaft in der Nachfolge de barocken Landschaftsmalerei kann gleichsam durchschritten werden (vgl. auch Poussin...), Jugend-Bild;


Bild: cdf_lau1.jpg:
die Gartenlaube, 1818, allseits umwachsen, als unscharf umgrenzter Raum, das Bild wirkt lieblich, kontemplativ ruhend und vermittelt kaum Aktivierung

 


Bild: cdffrau2.jpg:
der Blick seiner jungen Frau aus dem Fenster. Der Betrachter muss sich in den abgedunkelten Raum hineinversetzen, und versuchen, der jungen Frau über die Schulter zu sehen, um auch ihren Blick zu bekommen.
In seinem Gemälde Frau am Fenster hat Caspar David Friedrich 1822 seine eigene Frau Christiane Caroline, geb. Bommer, gemalt, mit der er seit 1818 verheiratet war. Das Bild kann den Betrachter sehr aktivieren und wirkt schroff und flächig,

Bild: cdfnebel.jpg:
1821, Nebel im Elbtal, der Himmel scheint geöffnet und hoffnungsfroh, die Szene des Bildes kann heiter und anmutig "durchschritten" werden, wie es in der Landschaftsmalerei des Barock üblich war.

 

Wiederum der Vergleich:


Bild: cdf_9.jpg: der Künstler im Atelier

 

 


Bild: Cdf_10.jpg: ebenso, diese Bilder verlangen Einfühlung, und eigentlich Respekt und Mitgefühl

 

Ein völliger Gegensatz aus dem französischen Rokoko sei mir hier erlaubt:


Bild: fragon_1.jpg,
1766, Jean Fragonard.
(Anm.: wir hatten seinerzeit einen sehr guten Kunstgeschichte-Dozenten, der uns rätseln ließ,
wer denn die Schaukel in Gang hielte...)

 

Und noch ein anderer Gegensatz: Piranesi.


Bild: piranes1.jpg

 


Bild: piranes2.jpg


Bild: piranes3.jpg:
aus seiner Radierungsserie
Piranesi ist ein Sonderfall, weil er als Architekt und Künstler
abgesehen von seinen Vedutenszenen eine fantastische Innenarchitektur
verbunden hatte mit Folterszenen.

www.kgi.ruhr-uni-bochum.de/piranesi/m1/m1-3.htm

Piranesi verband ein Raumverständnis mit der Aktivierung des Betrachters, mal intensiver und mal weniger eindringlich.Man ist immer gezwungen, die Folterszenen zu interpretieren, hält inne und fährt aber im Bild gleichsam den Raum nach.


Raum kann aber auch in der Realisierung von Vertrauensbezügen liegen, wir bewegen uns in wahrscheinlichen sicheren Reaktionen und wir handeln oft gleich oder ähnlich, um uns des vertrauten Raumes zu versichern. Wir übernehmen aber oft auch fremde Erwartungen und verhalten uns danach.


Angefügte CDF-Zitate:
"Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was duim Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen." (Caspar David Friedrich)

"Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke oder gar Tote erwartet." (CDF)

"Jedes echte Kunstwerk wird in geweihter Stunde empfangen und in glücklicher geboren, oft dem Künstler unbewußt aus innerem Drang des Herzens." (CDF)

"Heilig sollst du halten jede fromme Regung deines Gemütes, heilig achten jede fromme Ahndung; denn sie ist Kunst in uns! In begeisternder Stunde wird sie zur anschaulichen Form; und diese Form ist dein Bild!" (CDF)

"Ein Bild muss empfunden, nicht erfunden sein." (CDF)


Nachbemerkungen:
Dem Begriff des Gesamtkunstwerks kann ich mit dem Zitat der Wieskirche als einem geschichtlichen Zeitdokument nahekommen.

In diesem Zusammenhang zitiere ich "Yellow Submarine", dem Klassiker der Animationsindustrie, in dem alle Raumverständnisse durch die Schilderung von flächiger und räumlicher Pseudo-3D-Animation locker über den Haufen gefegt werden.
Dies waren unsere ersten eigenen absolut unbefangenen und fröhlichen Ausbruchsversuche, das "flächige" Gefängnis der Wirklichkeitsinterpretation zu verlassen.

Mit der Weiterentwicklung des Rechners kamen aber noch Computerspiele hinzu. Es sind jetzt schon genug Datensätze da, um sie in einem anderen Regelthema zu bearbeiten.

Reinhard von Tümpling, Januar 2005