Nacharbeiten zum Jugendstil

von Reinhard von Tümpling

Ich habe diese Unterrichts- und Themenfolge in zwei neunten Klassen (HS By R9) gehalten und erzielte damit einen behutsamen Zugang zum Jugendstil und auch dessen Lebensgefühl, soweit ich das mit meinen Mitteln anbahnen konnnte.

Ich bin vom sichtbaren Erscheinungsbild meiner Heimatregion ausgegangen und habe damit versucht, Details zu erkennen, sie zu vermitteln als auch der Hochkunst des damaligen Zeitgeistes näher zu kommen.

Äußerlich erkennbare Elemente des Jugendstils sind dekorativ geschwungene Linien sowie flächenhafte florale Ornamente und die Aufgabe von Symmetrien.


Die Erlaubniszettel der Erziehungsberechtigten zum Abbilden der verwendeten Schülerarbeiten der 9. Jahrgangsstufe HS (By) aus dem Schuljahr 2008-2009 liegen real vor.


Link und Zuordnung:

Geschichtlich steht der Jugendstil zwischen Historismus und moderner Kunst. Diese Stilrichtung dauerte ca. 20 Jahre (andere Quellen sagen 30 Jahre). Er kann als eine Antwort auf verschiedene vorausgehende Zeitströmungen des 19. Jahrhunderts verstanden werden.

Die industrielle Revolution und das Aufkommen von mit Verzierungen überladener und maschinell hergestellter Massenware im viktorianischen England war fast Vorbedingung zum Entstehen des Jugendstils als einer künstlerischen Stil- Gegenbewegung gleichsam.

Der Historismus im Frankreich geriet als „Belle Epoque“ in Verbindung mit den Bedürfnissen des gehobenen Bürgertums zur „Extravaganz".

In etwas vereinfachter Form entwickelte sich als Stilvorläufer zum Jugendstil der Historismus von Neogotik bis Neobarock auch in Süddeutschland.

In Österreich war der Historismus im letzten Jahrhundertdrittel weit überformend.

Schon von den Zeitgenossen als zugehörig empfunden wurde der Malstil von z.B. Hans Makart mit seinen neobarocken Allegorien.

In München dominierte ebenfalls die großbürgerliche Malkunst, charakterisiert und beherrscht durch den „Lenbachkreis“ um den Maler Franz von Lenbach.


Wichtig für das Vorverständnis scheint mir zu sein:

Man kann den Jugendstil recht kurz isoliert als zeitweilige Mode begreifen, aber auch als Gegensatz der gesellschaftlichen Entwicklung des Wandels von Herstellungs- und Lebensweisen. Seine Quelle kann auch in der befreienden Sinnsuche und Selbstbestimmung gegenüber einer aufblühenden Industrialisierung und der zunehmenden Entfremdung des Menschen durch die Arbeitsteilung liegen.

Der Jugendstil mit seiner heiteren und verspielten Gelassenheit überlebte den kulturellen Schock des 1. Weltkrieges nicht mehr.

Die Entwicklung mündete danach in den harten Expressionismus und die strengere Neue Sachlichkeit während der Zeit der Weimarer Republik und brachte als Gegenbewegung zeitgleich erneut stilbildende gesellschaftliche Bemühungen hervor, wie z.B. das Bauhaus, oder andere Werkbünde und kunstgewerbliche Fachschulen.


Links:

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Die Quelle des Jugendstils war bestimmt auch die Besinnung auf handwerkliche Grundqualitäten, aber auch ein Lebensgefühl des Aufbruchs in einer zunehmend offeneren kulturellen Welt.

Ich habe versucht, die gestalterische Kraft des Jugendstils zu seiner Zeit sinnvoll in der Gegenwart wieder zu finden, ihn zu beschreiben, als erhaltenswerte Substanz zu schildern und darüber hinaus Aspekte wie z.B. für wehende Stoffe abzuleiten.

Die Konzentration auf das wesentliche:


Bild: Jugendstil_1_2009.jpg
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: als Tischvorlage verwendet

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Bild: Jugendstil_5_2009.jpg
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Bild: Jugendstil_6_2009.jpg
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Ich fand dieses weiss lackierte und recht schwere Nähmaschinen-Untergestell mit Tretwippe und aufgelegter Glasplatte als Einrichtungsgegenstand bei meinem Friseur vor und konnte es mit der Kamera näher von allen Seiten untersuchen. Ich nahm dieses Tischchen wegen seiner geschweiften Formen als alltäglichen Gebrauchsgegenstand und als exemplarisch an.


Bild: Jugend_13.jpg
: eigene Bastelei, schnell vorgemacht

 

 

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: das Tafelbild:
 
   

 

Die Ergebnisse:


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: mit Versatz nach hinten

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: mit Versatz

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Zur weiteren Ausformung des Themas habe ich an einem schönen Tag einen Ausflug gemacht und versucht, auffällige Häuser und Details daran zu fotografieren.


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: Tischvorlage, das täglich angesehene Eckhaus, mit zartrosa Fassade und weißer verglaster Terrasse und offener Laube darüber, das Erdgeschoss im Gründerzeitstil

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: Bauernhaus, mit weit überragendem Dach nach Osten; der Balkon war das besondere: die Ausfachungsbretter in geschweifter Schwanenhals-Form und mit weiß bemalten Zierbögen

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: auch diese Zierbretter, aber mit besonders betonter Giebelausfachung

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: ein Bauernhaus, mit weit überkragendem Dach, aber zurück gesetztem und fast verstecktem Balkon

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: ein großes Stadthaus

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: ein Stadthaus mit auffälligem halb ovalem Balkonabau

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: mit hervor tretendem Balkonvorbau über dem Eingang

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: eine Gaststätte

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: ein Stadthaus

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: Stadthaus mit hervor springendem Erker und kleiner barocker Zierkuppel als Ortsdevotionalie darüber

Bild: Jugend_38.jpg
: ein besonderes Stadthaus......


Bild: Jugend_41.jpg
: Tafelbild


Die Ergebnisse:


Bild: Jugend_42.jpg
: als Einschub: eine Schülerin nahm die Abbildung einer im Netz gefundenen Tischlampe als Zeichenanlass, um eigentätig die Formensprache des Jugendstils aufzunehmen.

 


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: die Nachbearbeitung des Hauswinkels

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ein recht interessantes Zusammenziehen von Balkon und
Firsttraufe

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Bild: Jugend_50.jpg
: Konzentration auf den allfälligen Balkon
   



Bild: Jugendstil Paris_Metro.jpg
: Die Stilfrage ist hier im überbordenden Paris der Jahrhundertwende am eindeutigsten geklärt.



Bild: Perspektive_98.jpg
: das eigene Fragment zur Bewegung

Ich habe versucht, einen weiteren Schwerpunkt des Jugendstils zu fassen und geriet an Alphonse Mucha, von dem mir einige großformatige Reproduktionen bekannt waren. Wer einen wehenden Chiffon-Stoffschal oder gar -Kleid kennt, wird sehr leicht Zugang zu Mucha finden.

Alphonse Mucha ist auch im Zusammenhang mit Sarah Bernhardt zu begreifen.


Bild: Jugendstil_alphonse_Mucha_dance.jpg
: die unerreichbare Tischvorlage

Ich habe wegen Mucha, bei dem der Lust betonte Faltenwurf und das Spiel dieser Formen am deutlichsten hervor tritt, in einer Art „Werkzeugkasten“ seine Formbewegungen spielerisch nachempfunden.

Die Skizze:


Bild: Jugend_Skizze_2009.jpg
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Bild: Jugend_Sperrholzschablone_2009.jpg
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Bild: Jugendstil_9_ 2009.jpg
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Bild: Jugendstil_446px-La_Plume.bmp
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„die Feder“, ein Bucheinband; ich habe dieses Blatt als Tischvorlage verwendet und auch als Bucheinband genannt.

 


Bild: Mensch_45.jpg
: eigenes Arbeitsblatt als Tischvorlage

 

Die Ergebnisse:


Bild: Jugend_52.jpg
: diese Skizze unmittelbar in der Stunde als Beispiel vorgemacht

 


Bild: Jugend_53.jpg
: eigene Bastelei, um die möglichen Formgrenzen zu erfahren

 


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Bild: Jugend_61.jpg
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Bild: Jugend_62.jpg
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Bild: Jugend_63.jpg
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Ich sehe den Jugendstil auch in diesen Skizzenformen richtig aufgefasst und wiedergegeben.



Nachgeordnete Links:


Musik des Jugendstils:

http://de.wikipedia.org/wiki/Jugendstilmusik man beachte bitte die Begründung, mit der die Zuordnung zum Jugendstil gemacht wird.


Literatur und Dichter des Jugendstils:


Richard Dehmel:

Nicht doch!

Mädel, laß das Stricken – geh,
thu den Strumpf bei Seite heute;
das ist was für alte Leute,
für die jungen blüht der Klee!

Laß, mein Kind;
komm, mein Schätzchen!
siehst du nicht, der Abendwind
schäkert mit den Weidenkätzchen ...

Mädel liebes, sieh doch nicht
immer so bei Seite heute;
das ist was für alte Leute,
junge sehn sich ins Gesicht!

Komm, mein Kind,
sieh doch, Schätzchen:
über uns der Abendwind
schäkert mit den Weidenkätzchen ...

Siehst du, Mädel, war’s nicht nett
so an meiner Seite heute?
Das ist was für junge Leute,
alte gehn allein zu Bett! –

Was denn, Kind?
weinen, Schätzchen?
Nicht doch – sieh, der Abendwind
schäkert mit den Weidenkätzchen ...


Theodor Storm (veröffentlicht 1892)

Octoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk’ ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt
So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz, –
Stoß’ an, und laß es klingen!
Wir wissen’s doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk’ ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!


Frank Wedekind 1905

Pennal

Länger kann mein Herz ich nicht bezähmen –
Ach du lieber Gott, ich tat es nie! –
Doch Sie dürfen es nicht übelnehmen,
Aber ich gesteh’s, ich liebe Sie.
Und wenn ich Sie auf der Straße sehe,
Dann ergreift es mich, ich weiß nicht wie;
Dann wird es mir klar und ich gestehe
Ihnen noch einmal: Ich liebe Sie.

Ob ich gehe, stehe, liege, sitze,
Ob ich meinen Aufsatz schreiben soll,
Ob ich über der Grammatik schwitze,
Stets erscheint Ihr Bild verheißungsvoll.
Und wenn Sie mir nicht zu schreiben denken,
Dann soll ein verheißungsvoller Blick,
Den Sie im Vorübergehn mir schenken,
Bote sein von meinem größten Glück.

Aber wenn mein Herz zu kühn gewesen,
Wenn sich Ihre Blicke wenden ab,
Werden Sie vielleicht im Tagblatt lesen,
Wo ein Lebensmüder fand sein Grab.
So, Sie kennen nun mein Liebesfeuer;
Winkt mir heitres, winkt mir düstres Los?
Meine Freude wäre ungeheuer;
Meine Schmerzen wären riesengroß.

Reinhard von Tümpling, im Mai 2009