Gewalt
von Reinhard von Tümpling


Bild: Raps_1_ERS_2009.jpg
:

ich habe dieses friedliche Bild eines blühenden Rapsfeldes als Geschenk angenommen, das Papierfoto eingescannt und es hier einmal als Leitmotiv voraus gestellt. Es wirkt wie eine Verheißung.

Ich kannte das Motiv bereits von Frankfurt/Oder. Die Autobahn dort führt durch ein leuchtendes und glühendes Gelb von reifen Rapsfeldern, wenn die Sonne im Kontrast mit einem wolkenfleckigen Himmel voll in diese Felder scheint. Gerade bei lockeren und schnell ziehenden Wolkenfeldern bemerkt man den Kontrast von gleissend-leuchtendem und stumpfem Gelb sehr gut.


Bild: ERS_Ba_2_2007.jpg
:

spätmittelalterlicher Stadtkern vom Barock und Biedermeier, die engen Gassen und Häuser restauriert und renoviert, wie es in jedem denkmalgeschützten Ensemble üblich ist und um den wesentlichen Kern zu erhalten.

E.T.A. Hoffmann hat hier ab 1808 die Geschichten des Katers Murr geschrieben, nachdem er wegen Napoleon nach Berlin gehen musste und von dort aus nach Bamberg.


Die Wanderungsbewegungen der Bevölkerung können auch unter dem Gewalt-Gesichtspunkt von Flucht und Vertreibung gesehen werden.

Ab nun als schrillen Kontrast beobachtet:


Bild: Gewalt.jpg
: der Dachstuhl bereits entfernt, die unteren Fenster vernagelt, die oberen Fenster voller Zerstörungswut eingeschlagen, ein Reiseeindruck...


Bild: Gewalt_1_2007.jpg
: preisgegeben, aufgegeben, Industriebrache... nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebaut....., nun nutzlos geworden. Ich habe diesen Eindruck im Bild festgehalten, denn diese Ruine wird wohl bald nicht mehr stehen bleiben.


Eine Änderung und Umgestaltung als Vorgangsbeschreibung bildnerisch festzuhalten lag hier auf der Hand. Man kann es nicht oft sehen, dass ein ganzes gewerbliches Gefüge einem anderen Gebrauch zugeführt wird. Solche anschaulichen Änderungen hinterlassen deutliche Spuren, die es nach dem Umbau so nicht mehr zu sehen gibt und ich fand diese Einflüsse um ihrer selbst willen als recht nützlich, weil man diesen Vorgang so nicht mehr sehen wird und sich später danach im gefälligeren Umfeld bewegt. Abbrucharbeiten mit Gewalt werden allgemein als hässlich angesehen, weil die Menschen meist Erinnerungen an die gebrauchte alte Struktur haben, die treuen früheren Erfahrungsspuren betrachtend genießen und es gerne verklären. Gleichwohl kann aber dieser fühlbare Unterschied zum ästhetischen Kanon gehören.

Die nachfolgenden Bilder entstanden beim Umbau einer sehr belebten Einkaufsstraße entlang der Eisenbahnlinie und man sollte sich vorstellen, dass die Führung der Eisenbahnlinie zur Zeit ihrer Entstehung einfach der Landschaft folgte und den früheren Ansprüchen der besten wirtschaftlichen Erschließung und Versorgung der Region diente. Wenn sich nun dazu die Bedingungen ändern, wird man neu bedenken müssen, wie man städteplanerisch sinnvoll und behutsam vorgeht, um diese Strukturen zu verbessern, ohne andere zugleich zu verschlechtern. Ein Outlet-Center in die grüne Wiese hinzustellen, ist sicher bautechnisch ein sehr einfacher Vorgang. Man vergisst aber als Verbraucher gerne, dass eine solche dichte konzentrierte Angebotspalette wie eine Sucht wirken kann. Die vielen kleinen Läden mit einem Fachangebot, die vorbereitend auch den Reiz des lustvollen Einkaufens ausmachen können, werden nun eigentlich überflüssig und große logistische Warenströme missachten lässig die kleine Selbstverliebtheit des Einkaufens, die einen Teil der Lebensfreude ausmacht. Der biedermeierliche Stolz, ein Geschäft mit einem familiären Namen über einige Generationen hinweg vorzufinden, ist sicher eine besondere Angelegenheit.

 

Zum Speichern von Bildern und Schablonen:
rechter Mausklick auf die Abbildung - "Ziel speichern unter.." wählen.

 

Wer das kleinteilige Ambiente liebt, sollte sich die fabelhafte Welt der Amelie ansehen...., mit den rasantem Wechsel der Perspektiven und Nicht-Perspektiven.


Bild: Gewalt_1.jpg
: ein Abbruchhaus


Bild: Gewalt_2.jpg
: der Staub beim Abbrechen von Hausteilen....


Bild: Gewalt_3.jpg
: ein Greifarm bei der Arbeit


Bild: Gewalt_4.jpg
: dasselbe


Bild: Gewalt_5.jpg
: Bruchreste am Hausrand


Bild: Gewalt_6.jpg
: die Ladeschaufel


Bild: Gewalt_7.jpg
: zum Greifen, eine Zange


Ich habe die „Süddeutsche“ im Übersichts- und Konzeptionszeitraumes dieses Netzeintrages früher schon genauer durchgelesen und mir einige Artikel heraus kopiert, um dem vorstrukturierten Umgang mit der Gewalt etwas näher zu kommen. Wir sollten uns klar darüber sein, dass der Gebrauch von Computerspielen innerhalb eines bestimmten Lebensabschnittes auch verheerende Folgen für eine bestehende Werteerziehung haben kann, denn ein durch Definition gebrandmarkter Feind kann sehr wohl beliebig austauschbar sein.

Links:

Am 16.3. 2007 Süddeutsche

„Darf's a bisserl mehr sein?“ Von Carolin Pirich

Sales-Manager at work. Sprachpsychologie

Was haben Metzger und Manager gemeinsam? Manche Wörter lösen die gleichen Gefühle aus, obwohl sie völlig verschiedene Bedeutungen haben. Ein erstaunliches Glossar der gefühlten Sprache.

"Der Manager fühlt sich in Deutschland an wie ein Metzger: ziemlich dynamisch, ziemlich mächtig und ziemlich negativ." Das ist kein Satz eines Verächters marktwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen oder eines geplagten Angestellten. Er ist das stichfeste Ergebnis einer Studie zum Gefühlsgehalt von Wörtern, die am Psychologischen Institut der Humboldt-Universität in Berlin entsteht.

Der Manager als Metzger: Die Versuchung ist groß, den Kopf zu senken und breit zu grinsen: Der Macher und Entscheider, die leitende Persönlichkeit mit Verfügungsgewalt, wie der Duden den Manager erläutert, ist so sympathisch wie ein Schlächter.

Was manchem das Gefühl bei diesem Wort einflüstert, kann exakt gemessen zur, nun ja, Tatsache werden - auch für unverbesserliche Positivisten, die gemeinhin schon beim bloßen Verdacht auf Intuition reflexhaft die Nase rümpfen. "Die Gefühle, die bestimmte Wörter auslösen, kann man messen wie Fieber", sagt Tobias Schröder, der an der Humboldt-Universität an einem Lexikon für den gefühlten Teil der Sprache arbeitet, das in Zusammenarbeit mit der Indiana University entsteht.

Wörter wie Thermometer

Schröders statistisches Messinstrument geht auf den Psychologen Charles Osgood zurück, der in den fünfziger und sechziger Jahren in mehr als vierzig Sprachen und Kulturen die Konnotationen von Wörtern erforscht hat. Die Testpersonen geben dabei auf drei Ebenen an, ob ein Wort Sympathie, Angst, Ärger, Zufriedenheit oder Nervosität bei ihnen auslöst.

Dabei können sie einen Schieber auf einer Skala in die Richtung bewegen, die ihnen passend erscheint: ob auf sie das Wort Manager eher angenehm oder unangenehm, kraftvoll oder zart wirkt, ob es als lebhaft oder ruhig empfunden wird. "Wenn man die Gefühle vergleicht, welche die Begriffe Manager, Metzger, Krimineller oder Ehebrecher auslösen", sagt Schröder, "dann fühlen sie sich für den Deutschen ähnlich an."

Die Art, in diesen drei Dimensionen zu fühlen, so Schröder, scheine ein Naturgesetz zu sein, gewissermaßen das "Apriori des Fühlens". Angst beispielsweise: Ein Gefühl, das nach den Untersuchungen Osgoods überall auf der Welt als unangenehm, schwach und lebhaft wahrgenommen wird - lebhaft deshalb, weil Angst Handlung provoziert.

Andere Länder, andere Gefühle

Bestimmte Wörter können in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften jedoch deutlich andere Gefühle auslösen: In den Vereinigten Staaten evozieren Wörter aus dem sexuellem Kontext starke Emotionen: Sie fühlen sich an wie Zorn oder Gewalt, während ein Deutscher recht emotionslos auf das Wort "homosexuell" reagiert.

Der Manager dagegen wird in den USA eher wie ein Richter empfunden: Mächtig, aber beruhigend -dort folgt man gerne seinen Anweisungen. Das ergaben Studien David Heises von der Indiana University, der bereits eine Art Wörter-Gefühlslexikon für die USA erstellt hat.

"Kulturen unterscheiden sich auch darin, wie sie zur Macht stehen", sagt Schröder. US-Amerikaner zum Beispiel haben, anders als Deutsche, dem emotionalen Gehalt zufolge, den sie Managern, Richtern, Präsidenten oder Gott zuweisen, ein eher positives Verhältnis zur Machtfülle. Zwar können mit dieser Methode zum Messen des Gefühlsgehalts keine Erkenntnisse darüber gewonnen werden, weshalb Wörter in verschiedenen Kulturen unterschiedlich besetzt sind.

Aber sie liefert zum Beispiel eine Möglichkeit, die These des Kriminologen Christian Pfeiffer zu überprüfen, nach der Deutsche, die in der DDR aufwuchsen, autoritätshöriger seien als ihre Brüder und Schwestern aus dem Westen und es daher unter ihnen mehr Rechtsextreme gebe. "Wenn ein Mensch Wörter, die mit Macht verbunden werden, als angenehm empfindet", sagt der Psychologe, "so ist davon auszugehen, dass er ein positives Verhältnis zu Autorität hat."

Großes Interesse an Tobias Schröders Arbeit zeigen mittlerweile auch IT-Spezialisten. Maschinen sollen auf verbal ausgedrückte Gefühle reagieren. Dabei hilft das Wissen, dass die Konnotationen von Wörtern sich auf das Handeln auswirken. Aus mindestens 1500 Wörtern der deutschen Sprache soll in den nächsten eineinhalb Jahren ein Gefühls-Lexikon entstehen (www.projekt-magellan.de).

Außer in den USA existieren bereits in Japan und Kanada ähnliche Nachschlagewerke. Sie könnten auch das interkulturelle Verständnis erleichtern. Wenn in der Arbeitswelt das Verhältnis zwischen einem Deutschen und einem Amerikaner emotional abkühlt, muss das nicht nur an George Bush liegen. Der Amerikaner hat vielleicht nur den Manager erwähnt, bei dem der Deutsche sich unwillkürlich an den ehemaligen Jugendfreund erinnert fühlt, der ihm damals seine Freundin ausspannte.

(SZ vom 15.3.2007)


Durchgesehene Links:

YouTube durchgesehen nach >>>Schule Gewalt<<< ergab 260 Anzeigen.


Bei dem ersten zitierten Hausabbruch wurde eine freie Parkplatzfläche geschaffen, die für die Benutzer der umliegenden Geschäfte und Besucher gedacht ist.

Bei einem anderen Hausabbruch fühlte ich mich genauer zu Hinschauen bewegt


Bild: Gewalt_9_2010.jpg
: dieses war einmal ein lustiger Veranstaltungsraum

Bild: Gewalt_10_2010.jpg
: schon zerlegt

Bild: Gewalt_11_2010.jpg
: vorne rechts den Altholzhaufen

Bild: Gewalt_12_2010.jpg
: zerstört, zerlegt, ein Schutthaufen...


Bild: Gewalt_13_2010.jpg
: man sieht oben noch etwas ins Dach hinein


Bild: Gewalt_17_2010.jpg
: sorgfältig aufgetürmte Bauschutt-Steine


Bild: Gewalt_19_2010.jpg
: die abgelegten und aufgereihten Werkzeuge des Abbruchbaggers, man kann deutlich die Druckölanschlüsse für die Hydraulik sehen


Bild: Gewalt_21_2010.jpg
: die unzerstörten Reste einer Betonsäule


Bild: Gewalt_14_2010.jpg
: vorsichtig den Dachstuhl zerlegen...


Bild: Gewalt_18_2010.jpg
: ein stehen gebliebener und zerborstener Säulenrest


Bild: Gewalt_20_2010.jpg
: zuletzt bleibt auf der Abbruchfläche eine kleine Grube übrig


Bild: Gewalt_23_2010.jpg
: eingeebnet

 


Bild: Gewalt_22_2010.jpg
: gewalzt und planiert

Bild: Gewalt_26_2010.jpg
: ich habe diese Dachkonstruktion sorgfältig angesehen, denn dies Bild ergibt sich recht selten.

Bild: Gewalt_27_2010.jpg
: noch einmal aber, schräg versetzt

Bild: Gewalt_28_2010.jpg
: die roh verputzten Wände, Fasermaterial und weißer Putz, nur um die Bretterwand etwas freundlicher zu gestalten
   

Dieses war einmal ein Lagerhaus für landwirtschaftliche Güter. Man brauchte es einfach nicht mehr, es hatte seinen Sinn in einer anderen Zeit bestimmt sehr gut erfüllt. Gelegentlich fuhren Bauern mit dem Schlepper und dem Düngerstreuer an der Rampe vor und ließen sich den Trichter des Streugerätes auffüllen.


 


Bild: Gewalt_24_2010.jpg
: der Abbruchbagger holte die Schienen und die Schwellen des alten Bahngeleises heraus, zerrte etwas daran , rüttelte und die Teile des alten Geleises waren vom umgebenden Kiesbett getrennt.

Bild: Gewalt_25_2010.jpg
: Die Schienen selbst stehen angerissen und heraus gezerrt etwas in die Luft. Ich bin auf den Stahlstrang draufgestiegen und federte etwas auf und ab.

Der Bagger sortierte dann an einem anderen Tag noch die Schwellen aus bestem Beton aus der Erde und stapelte sie ordentlich und gewissenhaft auf, das Holz wurde getrennt gesammelt und mit einer Plane abgedeckt.

Es kann sein, dass dieser Platz einmal ein überdachter Omnibusbahnhof wird.


Die „Süddeutsche“ am Samstag, 31.3.2007

"Rütli-Wear"

Stigma und Stolz

Vor einem Jahr wurde der dramatische Hilfeschrei der Lehrer der Rütli-Schule veröffentlicht. Heute verkaufen die Schüler ihre eigene Mode-Kollektion: "Rütli-Wear".

Vertreter von 'Rütli-Wear' bei der Preisverleihung von 'startsocial' im Kanzleramt in Berlin.

An diesem Freitag ist es genau ein Jahr her, dass der Tagesspiegel einen dramatischen Brief von Lehrern der Rütli-Oberschule in Berlin-Neukölln an die örtliche Schulverwaltung veröffentlichte. Dieses Dokument von Gewalt, Verwahrlosung und Hilflosigkeit hat sensationsgierige Blicke auf eine "Terrorschmiede" (B.Z.), aber auch eine durchaus produktive Debatte über die Probleme der Hauptschule und über die Verwechslung von Toleranz und Ignoranz zur Folge gehabt.

Wenn es immer heißt, die Gesellschaft müsse "hinschauen", dann ist es nur konsequent, wenn die Jugendlichen mit den Mitteln der Zurschaustellung antworten, die ihrer gegenwärtigen Mode und Straßenkultur zu Gebote stehen. Und so kann man von diesem Freitag an auf der Internetseite ruetli-wear.de nicht nur das schon im Umlauf befindliche T-Shirt mit dem Aufdruck RÜTLI, sondern auch eine ganze neue Modekollektion bestellen, welche Schüler der 8. und 10. Klassen entworfen haben und die sie selbst als Models präsentieren.

Die Motive haben sie in den Fächern Kunst und Arbeitslehre entwickelt, die Kleidung in einer eigenen Siebdruckwerkstatt ("echte Neuköllner Handarbeit!") hergestellt. Die Erlöse des aufwendigen Projekts, das ein Berliner Soziologiestudent initiierte, fließen in die Schule zurück.

Niemand behauptet, man könne soziale Sorgen und strukturelle Versäumnisse durch popkulturelle Ästhetisierung beheben. Aber die "Rütli-Wear" zeigt, wie man ein Stigma in Opferstolz und diesen wiederum durch Gründung einer eigenen Unternehmung in tätiges Selbstbewusstsein verwandeln kann.

(SZ vom 30. März 2007)


Jugend und Gewalt

Draußen, unten, unter sich

Die alte Leere, die neue Wut: Soziologen ziehen einen beunruhigenden Vergleich zwischen deutschen und französischen Migrantenkindern.

Von Alex Rühle

"Wir haben gewonnen", sagte einer der Jugendlichen damals. Wie das, fragte ihn der Mann vom Fernsehen, inmitten verkohlter Autoskelette, soeben hatten die Jugendlichen die letzten Reste an Infrastruktur angezündet, die es hier im Norden von Saint-Denis gab. "Weil die Welt auf uns geschaut hat, weil die Polizei kam, und weil der Bürgermeister erstmals aus seinem Rathaus kam."

Wann, so fragten seinerzeit die deutschen Medien geradezu mit Angstlust, wann wird es bei uns in Berlin oder Hamburg ähnliche Aufstände geben? 10.000 Autos sind während der Unruhen im November 2005 in Frankreich verbrannt, die Schäden beliefen sich auf 250 Millionen Euro, 5000 Jugendliche wurden verhaftet, 600 verurteilt.

Eineinhalb Jahre später fragt einer der Soziologen, die sich im Centre Marc Bloch in Berlin treffen, um über die Unruhen und die Lage junger Migranten in Deutschland und Frankreich zu reden, den 23-jährigen Abdel Khader, ob sich seitdem etwas geändert habe. "Nein", sagt der Sohn malischer Einwanderer, der in der Cité des 4000 in Saint-Denis lebt, es sei alles beim Alten, Arbeitslosigkeit, Polizeischikanen, Beschaffungskriminalität...

Die Revolution gegen alles

Der schüchterne Schwarze sitzt als eine Art Zeitzeuge auf dem Podium, er war dabei damals, und spricht die ganze Zeit von der Revolution. "Die Revolution war die einzige Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen. Wir hatten Dinge zu sagen, aber wir wussten nicht, wem."

Khader war inzwischen mit Hilfe des CVJM ein Jahr in Deutschland, als Hilfspfleger, das war das glücklichste Jahr in seinem Leben, früh aufstehen, arbeiten, abends müde einschlafen. "Jetzt bin ich wieder zu Hause, schlafe tagsüber und hänge nachts draußen rum." Ob er eine Lösung sehe für sich? Die Schule, sagt er, nur die Schule. "Eine gute Ausbildung ist die einzige Chance, rauszukommen."

Leider dekonstruierten dann gleich mehrere der anwesenden Soziologen in ihren Vorträgen genau diese Hoffnung. Olaf Groh-Samberg und Ingrid Tucci vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin wiesen in ihrem Vergleich der sozioökonomischen Integration von Jugendlichen in Frankreich und Deutschland darauf hin, dass die Schule selbst zwar noch immer der Ort in der französischen Gesellschaft sei, in der das große republikanische Versprechen von der égalité aller Bürger gehalten werde.

Die Schulabschlüsse der Immigrantenkinder unterscheiden sich kaum von denen der französischstämmigen Jugendlichen. Aber nach der Schule erfahren die Migranten dann, dass ihnen ihr Zeugnis nichts nützt - sie finden keine Jobs, egal ob sie nun gute Abschlüsse haben oder schlechte.

Ein Fall für den Kärcher

Den deutschen Türken dagegen macht man hierzulande gar nicht erst die Illusion, dass sie dieselben Chancen haben wie die Deutschen. Keiner verspricht ihnen Gleichheit. Im Gegenteil, sie erfahren bereits an den Hauptschulen, wo ihr Platz ist. Draußen, unten und unter sich.

Im direkten Vergleich schneidet Deutschland trotz des außerordentlich geringen Anteils hoher Bildungsabschlüsse unter Deutsch-Türken fast besser ab als Frankreich: Die Jugendarbeitslosigkeit war hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten niedriger als in Frankreich. Die Armut unter französischen Jugendlichen ist fast doppelt so groß wie unter gleichaltrigen Deutschen. Zudem ist die Segregation am städtischen Rand in Frankreich größer als in Deutschland. Die Banlieues sind viel größer als deutsche Großraumsiedlungen und de facto abgeschottet vom Rest der Stadt.

Die Hauptschule als Zentrifuge der "Entmischung"

Umso schockierender war, wie häufig die negativen Folgen des dreigliedrigen deutschen Schulsystems hervorgehoben wurden. Für den Berliner Armutsforscher Martin Kronauer wirkt die Hauptschule wie eine Zentrifuge, die zur sozialen "Entmischung" führe, zur selektiven Abwanderung einkommensstarker Haushalte, was wiederum die Armut bei den Zurückgebliebenen verstärke. Kein Wunder, dass die Hauptschüler in ihrem Verhalten oft ihre Chancenlosigkeit antizipieren und damit wiederum verstärken.

Etwas ganz Ähnliches ließ sich bei Abdel Khader beobachten. Was er denn davon halte, vom Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy als racaille, also als Gesindel bezeichnet zu werden, wurde er gefragt. Als solches hatte der damalige Innenminister schon im August 2005 die Jugendlichen in den Banlieues beschimpft.

"Nein", sagte Abdel, und musste selber lächeln, als er die "feinen Unterschiede" innerhalb der Banlieue erklärte, "das Gesindel, das waren die in Argenteuil, mich muss man mit dem Kärcher wegspritzen." Bei einem Besuch der Cité des 4000, dieses Monstrums, das wie ein Architektur gewordener Albtraum der französischen Gesellschaft in Saint-Denis steht, hatte Sarkozy gesagt, man müsse das ganze Ding von Grund auf "mit dem Kärcher reinigen". So zeigt Khader, dass sich die Jugendlichen die Beleidigungen angeeignet haben wie Brands, wie Marken, die sie voneinander unterscheiden.

Spiel mit der Zeitbombe

Von ferne mag das an die Strategie der Schwarzen erinnern, die in den Sechzigern den despektierlichen Ausdruck Nigger plötzlich affirmativ gebrauchten. Allerdings hatten die bürgerbewegten Schwarzen damals genaue Forderungen, und sie waren politisch organisiert. Das Unheimliche an den französischen Unruhen war hingegen, dass es keine Forderungen gab. Keine Sprecher. Nichts.

Der Pariser Soziologe Olivier Masclet beschrieb in seinem bestürzenden Vortrag die Banlieue als politisches Waste Land, aus dem sich alle Parteien und sozialen Verbände zurückgezogen haben. Als während der Unruhen Bürgerforen einberufen worden seien, um die Gründe für den Aufruhr zu erläutern, habe sich kein einziger Jugendlicher geäußert, um Forderungen vorzutragen. So sah Masclet die Unruhen auch nur als destruktives Echo auf die Leere und Anomie, die die Banlieues prägen.

Martin Kronauer deutete die Unruhen dagegen geradezu optimistisch als Kampf um Anerkennung, darum, wahrgenommen zu werden und die gleichen Rechte zu bekommen wie alle anderen. In Hinblick auf die ausgebliebene Revolte der deutsch-türkischen Jugendlichen sagte er, bedrohlich für eine demokratische Gesellschaft sei nicht die Tatsache, dass Menschen ihre Bürgerrechte einfordern.

Es droht die "subkulturelle Abkapselung"

Im Gegenteil, das könne "der Demokratie einen notwenigen Schub verleihen. Bedrohlich ist vielmehr, wenn die Ausgeschlossenen auf die Verweigerung von Rechten und sozialer Teilhabe nur noch mit eigenem Rückzug und eigener Verweigerung antworten können." Gleichzeitig widerlegte er das Gerede von der Parallelgesellschaft. Alle empirischen Untersuchungen widersprächen dem Verdacht, dass die Migranten im großen Stil die Integration verweigerten. Werde ihnen aber längerfristig die Zugehörigkeit verwehrt, "droht in der Tat subkulturelle Abkapselung".

Die aktuellen Ereignisse zeigen leider, dass protestierende Jugendliche der Demokratie in Frankreich keinen produktiven ,Schub‘ verleihen können: Nachdem es am Dienstagabend in den U-Bahnkatakomben der Pariser Gare du Nord zu massiven Ausschreitungen zwischen Polizei und Jugendlichen kam, sagte der Präsidentschaftskandidat Sarkozy, das beweise abermals, dass man noch härter durchgreifen müsse, während seine Kontrahentin Ségolène Royal entgegnete, Sarkozy sei schuld an allem.

Die Zeitung L’Alsace kommentierte die wechselseitigen Vorwürfe mit dem grimmen Satz: "Unsere Politiker werfen sich lieber gegenseitig die Zeitbombe zu, als dass sie versuchen, sie zu entschärfen."

(SZ vom 30. März 2007)



Die Rolle der Werbung

Regelverletzungen und Vermischungen

Bullying....


13.04.2007 Süddeutsche Not in der Großstadt (10):

Im Kampf gegen die Aussichtslosigkeit

Hier suchen Kinder jene Wärme, die es zu Hause oft nicht gibt - Momentaufnahmen an der staatlichen Förderschule München-Nord.

Von Von Julius Müller-Meiningen

Unten, gleich hinter der Glastüre am Eingang zum Schulgebäude, sind mit grellen Farben bunte Figuren an die Wand gemalt. Ihre Körper sind Gelb, Blau, Rot, Orange und Grün, und ihre Gesichter lachen, ein paar schauen grimmig, und einige der Figuren schauen wild aus der weißen Wand neben dem Mädchenklo heraus.

Pinar, Monika, Manuel, Ramadan, Arif, Matthias oder Daniel steht neben ihnen in schwarzen Buchstaben auf die Wand geschrieben. Ganz rechts, neben einem der farbigen Männchen, ist in dicker schwarzer Schrift "C. Kastner" gemalt. Das ist Carolin Kastner, die junge Konrektorin. Sie sitzt mit Kollegen oben im Direktorat der Förderschule an der Paulckestraße und erzählt eine Geschichte.

Sie erzählt von einer zwölfjährigen Schülerin aus der sechsten Klasse, die morgens ihre zweijährige Schwester wickeln und füttern muss und diese dann vor den Fernseher setzt, bevor sie in die Schule geht. Und die Mutter?

Die schläft nebenan, und das Mädchen darf sie um Gottes Willen nicht wecken, weil die Mutter die Tochter dann schlagen würde. Und deshalb geht das kleine Mädchen in der Früh nach getaner Arbeit lieber schnell in die Schule. Da soll sie lernen. "Und dann", sagt Carolin Kastner und findet es selbst absurd, "dann fragen wir: ,Und wo sind deine Hausaufgaben?‘"

In München gibt es 26 staatliche Förderschulen, eine von ihnen ist das Förderzentrum München-Nord. München-Nord, das heißt Hasenbergl; und Hasenbergl heißt soziale Unterschicht. Auf die Förderschule werden Kinder geschickt, die als schwer erziehbar gelten oder große Schwierigkeiten mit dem Lernen, auch mit der Sprache haben und sonderpädagogische Unterstützung brauchen.

Außerdem kommen Schüler, die unter ADHS leiden, dem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom. Hier, in der Paulckestraße, kommt alles zusammen: Lernstörungen, starke Konzentrationsschwächen und die soziale Not.

Und: Die Schule ist so etwas wie eine zweite Welt für die Kinder. Draußen im Hasenbergl muss die Ehre verteidigt werden, drinnen, in der Schule, suchen sie die Wärme, die es zu Hause oft nicht gibt.

Die Schüler sind zwischen sechs und 16 Jahre alt, die kleinen gehen in ein anderes Gebäude in der Nähe, die größeren versammeln sich im gelben Schulhaus an der Paulckestraße 10, gleich hinter den vielstöckigen grauen Wohnblöcken, täglich von 8 bis 13 Uhr und fünf Minuten.

Nicht wenige von ihnen träumen von der Hauptschule, die der Rest der Stadt, wenn nicht der Republik, fürchtet. Nimmt man sie alle zusammen, dann kämpfen hier etwa 260 junge und 40 erwachsene Menschen gegen die Aussichtslosigkeit. "Das Aufarbeiten der sozialen Kriegsschauplätze von zu Hause", so nennt es Herbert Lutz, der Schulleiter.

Sozialer Kriegsschauplatz, das könnte so aussehen: Die Kinder einer Familie aus der Gegend haben seit vier Tagen nichts anderes als Kartoffeln gegessen, spätestens am Wochenende ist der Kühlschrank leer, das wenige Geld ist ausgegeben, und dann lädt sich die ganze Familie bei Freunden ein.

"Ich hasse das", habe zu ihr ein neunjähriger Schüler aus dieser Familie gesagt, erzählt Sibylle Geus, eine junge Lehrerin. Oder eine Episode, von der Direktor Lutz berichtet: Ein Schüler hat mit ein paar heftigen Tritten ein Verkehrszeichen umgetreten und so ein parkendes Auto beschädigt.

Der herbei zitierte Vater des Schülers habe das Verhalten seines Sohnes völlig normal gefunden und außerdem entgegnet, dass eine Anzeige wohl kaum Folgen haben könne, weil sowieso nichts zu holen sei. "Er hat ja bloß 400 Euro Hartz IV."

Wie überall gibt es auch hier die besseren und die schlechteren, die einfacheren und die schwierigen, die fleißigeren und die fauleren Schüler. Nicht einmal alle kommen aus dem Hasenbergl, manch einer fährt sogar bis aus Schwabing an.

 


Sicherste Millionenstadt trotz steigender Kriminalität.

Die Isar-Metropole ist zwar sehr sicher, anderseits wird es trotzdem gefährlicher. Alkohol und Gewalt hängen dabei eng zusammen.

(SZ vom 14.4.2007)

Von Bernd Kastner

Zwar bleibt München die sicherste Großstadt Deutschlands, doch die Zahl der Gewaltdelikte ist an der Isar ,,besorgniserregend‘‘ angestiegen. ,,Gewalt und Vandalismus haben in Quantität und Qualität ein neues Rekordniveau erreicht‘‘, sagte Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer bei der Vorstellung der Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums, das für Stadt und Landkreis München zuständig ist.

So habe 2006 die Zahl der Delikte wie vorsätzliche Tötung, Raub, Vergewaltigung oder Körperverletzung im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent zugenommen. Über einen Zeitraum von zehn Jahren ergebe sich eine Steigerung von mehr als 13 Prozent. ,,Besonders alarmierend‘‘ nennt Schmidbauer die Entwicklung bei schweren Körperverletzungen: Plus 41 Prozent gegenüber 1997.

Insgesamt sei 2006 die Zahl der Straftaten im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 2,4 Prozent gestiegen, was Schmidbauer angesichts des zurückliegenden Jahres mit Großereignissen wie Fußball-WM und Papstbesuch als ,,erfreulich niedrig‘‘ bezeichnet.

Die Polizei habe insgesamt 125000 Delikte registriert, das sind 8861 Straftaten pro 100000 Einwohner. Die Aufklärungsquote liege bei 57,5 Prozent und damit etwas niedriger als im Vorjahr, was der Polizeipräsident mit der höheren Zahl schwer klärbarer Delikte wie Vandalismus erklärt. Bei den Gewaltdelikten würden jedoch acht von zehn Fällen geklärt.

Diese sind es auch, die der Polizei am meisten Sorgen machen. Schmidbauer spricht von einem ,,Trend der Zeit‘‘. Gewalt werde immer seltener ausgeübt, um sich zu bereichern. ,,Gewalt wird um der Gewalt willen ausgeübt. Gewalt ist schick geworden.

Sie wird in Teilen unserer Gesellschaft bewundert‘‘, so Schmidbauer. ,,Je brutaler einer ist, desto höheres Ansehen genießt er in manchen Gruppen.‘‘ Beunruhigend sei eine ,,neue Jugendkultur‘‘ mit zwei ,,Leitmotiven‘‘: ,,,Saufen bis der Arzt kommt’ und ,fröhliches Schlagen’.‘‘

Alkohol und Gewalt hingen eng zusammen. Bei rund 40 Prozent der Gewaltdelikte sei Alkohol im Spiel. In der Gruppe der Jugendlichen, die jünger als 21 Jahre sind, habe sich in den vergangenen zehn Jahren der Anteil alkoholisierter Verdächtiger bei schweren Körperverletzungen verdoppelt.

Schmidbauer plädierte dafür, ,,kreative Strafen und Sanktionen‘‘ anzuwenden. Er denke an Fahrverbote für Mofa und Moped, Sperrfristen für den Führerscheinerwerb, Disco-, Handy- oder Internetverbote, Kontaktsperren zur Clique, ,,uncoole‘‘ Sozialarbeiten oder kurzzeitige ,,Warnschussarreste‘‘. Insgesamt bedürfe es einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, um den Gewalttrend bei jungen Menschen zu stoppen.

Generell sprach sich Schmidbauer für den Zugriff der Polizei auf Passfotos von Personen aus, die einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verdächtigt werden. Diese Daten sind bei den Meldebehörden gespeichert. Damit unterstützt Schmidbauer eine Forderung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble.

Wenn der Gesetzgeber etwas als Straftat definiere und von der Polizei das Verfolgen von Straftätern verlange, müsse er ihr auch die entsprechenden Möglichkeiten einräumen, so Schmidbauer. ,,Alles andere ist halbherzig.‘‘

(SZ vom 14.4.2007)


Ein kritischer Beitrag zum multimedialen Lernen:



Einn Artikel aus dem Magazin der Süddeutschen vom 15.6.07

Der Klassenkampf

Von: RAINER STADLER (TEXT);

Abi oder Quali?

Wir haben drei Monate lang eine ganz normale vierte Klasse an einer Münchner Grundschule begleitet. Und erlebt, wie der Notendruck Schüler, Eltern und Lehrer verrückt macht.

Eigentlich wollte Ulrike Bossenmaier ihrer Klasse nach sechs Wochen Sommerferien nur den Einstieg erleichtern. Anstatt gleich mit dem Stoff loszupauken, sollten die 23 Schüler der 4e einfach mal aufschreiben, was sie sich so alles vorgenommen hatten für dieses Jahr. Frau Bossenmaier staunte nicht schlecht, als sie die 23 Antworten las. Im Grunde gab es nur drei Antworten: »bessere Noten«, »dass ich es aufs Gymnasium schaffe« und »dass ich es aufs Ginasium schaffe«. Da wusste die Lehrerin der Grundschule Berg am Laim, dass dies kein unbeschwertes Schuljahr werden würde.

Sieben Tage später entlud sich zum ersten Mal der ganze Druck, der auf den Kindern lastete: Miriam, sonst eine der Besten, kassierte eine glatte Sechs im Diktat und brach in Tränen aus. Dominik klagte der Lehrerin: »Was glauben Sie, was zu Hause los ist, wenn ich damit ankomme!« Ratlos blickte er auf das Blatt vor ihm, auf dem eine Drei stand. Die 35-Jährige kannte die Schüler, sie war bereits im Jahr zuvor die Klassenlehrerin gewesen. Aber solche Szenen hatte sie nie erlebt. Beim Elternabend der 4e Ende der zweiten Schulwoche bat sie die besorgten Mütter und Väter, das Thema Übertritt bei den Kindern vorerst nicht mehr anzusprechen.

Die Grundschule Berg am Laim liegt an einer viel befahrenen Ausfallstraße im Münchner Osten. Im zugehörigen Stadtbezirk wohnen hauptsächlich Arbeiter und einfache Angestellte, jeder Vierte ist Ausländer. Für den Schulrektor Michael Hoderlein hat dieses Umfeld durchaus angenehme Seiten: Er muss sich – anders als die Kollegen in den gehobenen Vierteln wie Bogenhausen oder Harlaching – nicht mit Rechtsanwälten oder Chefärzten herumschlagen, die schon bei der Einschulung wissen, dass die Schullaufbahn ihres Nachwuchses unweigerlich mit dem Abitur enden wird. Natürlich haben auch die Eltern in Berg am Laim Ambitionen. Sie lassen sich am ehesten auf die Formel bringen: nicht unbedingt Abi, auf keinen Fall Hauptschule.

Schulrektor Hoderlein versteht das: »Wie sollen die Eltern es auch anders sehen, wenn die Wirtschaft keine Hauptschüler einstellt?« An der Grundschule Berg am Laim besteht also ausreichend Potenzial für Konflikte mit den Eltern, weshalb die Schule vorgebaut hat: Zum Beispiel schreiben alle Viertklässler seit Kurzem dieselben Arbeiten, die anschließend nach demselben Notenschlüssel bewertet werden. So können die Eltern der 4e nicht behaupten, die Kinder der 4a oder 4c hätten es leichter, und umgekehrt.

Mitte März 2007, noch sieben Wochen bis zum Übertrittszeugnis: Für das Gymnasium gilt als geeignet, wer in den Fächern Mathematik, Deutsch sowie Heimat- und Sachunterricht einen Notendurchschnitt von mindestens 2,33 erreicht. Für die Realschule genügt ein Schnitt von 2,66. Das Übertrittszeugnis wird nicht einfach so ausgestellt, es muss beantragt werden. Wer darauf verzichtet, landet automatisch in der Hauptschule. In der 4e stellen alle einen Antrag, zur Verwunderung von Frau Bossenmaier. Vor wenigen Wochen hat sie die Halbjahreszeugnisse verteilt, und sie kann sich noch gut erinnern, dass manche Schüler mit Ach und Krach auf einen Schnitt von 4,0 kamen.

Die Münchner Abendzeitung veröffentlicht in diesen Tagen zwei eng bedruckte Seiten mit den Adressen hiesiger Realschulen und Gymnasien. Im großen »AZ-Service zum Schulwechsel« können sich die Eltern der Viertklässler informieren, welche Einrichtung politische Seminare anbietet, Kommunikationstraining als Wahlfach oder Spanisch als vierte Fremdsprache. In der Bild-Zeitung erscheint eine vierteilige Serie: »Tatort Hauptschule: Die Ex-Rektorin der berüchtigten Berliner Rütli-Schule packt aus«.Unter den Schülern der Klasse 4e scheint die anfängliche Nervosität verflogen zu sein. Miriam hat sich vom Schock nach dem ersten Diktat erholt und gleich in der nächsten Probe eine Zwei geschrieben. Nun steht sie in Deutsch »auf zwei Komma noch was« und in Mathe auf einer Eins. Auch Dominik nimmt klar Kurs aufs Gymnasium.

Im Moment wirkt alles bunt und heiter im Klassenzimmer der 4e: An den Fenstern kleben Blumen aus Papier, an der Rückwand Bilder von Katzen, mit Wasserfarben gemalt. Überall hängen Plakate und Kärtchen, mit geometrischen Figuren – Kegel, Kugel, Pyramide–, mit deutschen Verben und englischen Vokabeln. Selbst das blaue Plakat am Ein-gang fügt sich fröhlich in den Reigen ein, mit seinen grünen, gelben und roten Sprechblasen, die um die Frage kreisen: »Was ich mir für das vierte Schuljahr vornehme«.

Die Eltern leiden jetzt offensichtlich mehr unter dem Druck als ihre Kinder. Miriams Mutter etwa sagt, »es nervt einfach, wenn jeder fragt: Und wo schickst du jetzt deine Tochter hin? Ständig ist man am Rechnen, ob’s reicht oder nicht reicht. Vor wichtigen Proben grübelt man: Sagt man’s ihr, dass sie sich besonders anstrengen soll? Oder macht sie das nur unnötig nervös?« Dominiks Mutter platzte schon einmal der Kragen, als ihr Sohn zu Hause eine Deutschprobe vorlegte. Frau Bossenmaier lässt alle größeren Arbeiten von den Eltern abzeichnen. Dominiks Mutter wollte also gerade unterschreiben, da fiel ihr diese Frage zum Igel auf. Igel? Was hat das mit Deutsch zu tun, »das ist doch Heimat- und Sachkunde!«, kritzelte sie ziemlich wütend auf die Probe.

Die Osterferien beginnen dieses Jahr schon Anfang April. Vanessa fährt mit ihrer Familie zu Verwandten nach Kroatien. Sie genießt die Abende dort, wenn alle zusammensitzen und »Uno« spielen oder »Mensch ärgere Dich nicht«. Im bisherigen Schuljahr blieb dafür kaum Zeit, abends hat ihre Mutter sie meist abgefragt. Vanessas Mutter spricht offen darüber, wie sehr sie sich von dem Notenstress anstecken ließ und wie persönlich sie das alles nahm. »Ich weiß noch gut, die erste Probe: Haut die mir doch gleich eine Vier rein.«

Die Stimmung war entsprechend gereizt in den nächsten Wochen. »Wenn meine Tochter von der Schule kam, hab ich manchmal nicht mehr ›hallo‹ gesagt, sondern nur gefragt: Habt ihr heute irgend was rausgekriegt?« Als dann Vanessa auch noch eine Drei in Mathe heimbrachte, »voller Leichtsinnsfehler, da habe ich geschrien wie eine Verrückte«. Die Lage entspannte sich erst, als Vanessa beschloss, doch nicht auf das Gymnasium zu gehen wie ihre Freundin Alice, sondern auf die Realschule wie ihre Freundinnen Michaela und Jennifer. Da war Vanessas Mutter sehr froh, dass »ich nach der Grundschule nicht noch das Gymnasium machen muss«. In den Osterferien verspricht sie ihrer Tochter: »Wenn das Zeugnis da ist, atmen wir auf und spielen abends wieder Gemeinschaftsspiele.«

Die Psychologin Helga Ulbricht leitet die Münchner Schulberatung und hat zuvor 15 Jahre lang an einer Volksschule unterrichtet. Die Übertrittsproblematik sei nicht neu, sagt sie, habe sich aber verschärft. »Vor zwanzig Jahren konnten Eltern über eine Fünf noch grinsen, heute brechen da Zukunftsängste aus. Erst recht, wenn es um die vierte Klasse geht.« Eine Änderung des Schulsystems hat die Panik der Eltern noch gesteigert: Bis zum Jahr 2001 verließen die Realschüler die Volksschule nach der sechsten Klasse. Seitdem wechseln sie bereits in der vierten Klasse, wie es bei den Gymnasiasten schon lange der Fall ist. »Die Realschulen haben natürlich hurra gejubelt. Sie bekommen nun selbstständige und lernwillige Schüler, die noch nicht mitten in der Pubertät stecken«, sagt Ulbricht. »Entwicklungspsychologisch gesehen, war es sicher richtig, die Kinder früher auf die Realschule zu schicken, weil sie noch leichter formbar sind. Aus schulpolitischer Sicht war es ein Fiasko: Die Hauptschulen bluten seitdem aus.«

Mitte April, noch drei Wochen bis zum Übertrittszeugnis. Die 4e hat dieses Jahr schon einige Exkursionen unternommen. Mal ging es ins Lenbachhaus zur Kunstausstellung, mal zum Öko-Betrieb auf Gut Herrmannsdorf. Aus rechtlichen Gründen muss bei solchen Ausflügen immer ein zweiter Erwachsener dabei sein. Bisher kein Problem, es fand sich immer jemand aus dem engagierten Elternkreis. Heute besucht die 4e eine Hauptschule und Frau Bossenmaier steht mit der Klasse allein da.

Die Rektorin der Hauptschule am Innsbrucker Ring freut sich umso mehr, dass sich mal jemand für ihre Einrichtung interessiert. Die Grundschüler werden durch das Lehrerzimmer geführt, sie staunen über das Musikzimmer, in dem ein großer Flügel steht, und über die beiden Computerräume. Dann gehen sie in eine sechste Klasse, die gerade Englisch hat. Die Schüler dort heißen Mourad, Ali, Biala, Jasenko oder Bida. Die Führung endet im Fitnessraum und der benachbarten großen Sporthalle. »Wer zu uns kommt, muss keine Angst haben«, sagt der Sportlehrer, der gerade mit ein paar Jugendlichen Fußball spielt. »Hier ist noch keiner erschlagen worden.« Das ist eine neue Information für manche Schüler der 4e. Anfang des Schuljahres hat Dennis seinem Freund Dominik erklärt: »Wenn du auf die Hauptschule kommst, hast du nur eine Chance: rennen. Die haben nämlich alle die Hosen so tief sitzen.«

Die Klasse 4e, das sind zehn Mädchen und 13 Jungen. Neun Schüler haben ausländische Eltern oder sind selbst außerhalb Deutschlands geboren. Sieben Schüler werden von ihrer Mutter allein erzogen. Drei Mädchen haben in diesem Jahr ihre erste Periode bekommen, ein Mädchen kam kürzlich geschminkt zum Unterricht, mit Stöckelschuhen. Ein Junge glaubt noch an den Osterhasen, ein anderer hat mit seinen Eltern dieses Jahr das KZ Dachau besucht. Kurzum: Die Schüler der 4e könnten kaum verschiedener sein. Gleiches gilt auch für ihre Chancen, was den Erfolg in der Schule angeht: Von Christian zum Beispiel erzählen seine Mitschüler, sein Deutsch sei kaum zu verstehen nach den Ferien, wenn er seine Verwandten in Italien besucht hat. Frau Bossenmaier sagt, sie wisse jeden Montag, wer von den Schülern mit getrennt lebenden Eltern am Wochenende den Vater besucht hat: »Die sind dann total durch den Wind.«

Trotzdem kann auch eine engagierte Lehrerin wie Frau Bossenmaier, die bei Schülern wie Eltern ein hohes Ansehen genießt, auf externe Einflüsse und Widrigkeiten im Familienkreis ihrer Schüler nur begrenzt Rück-sicht nehmen. In gewissem Sinn trifft die Fundamentalkritik des französischen Sozio-logen Pierre Bourdieu deshalb auch in der 4e zu: »Indem das Schulsystem alle Schüler, wie ungleich sie auch in Wirklichkeit sein mögen, in ihren Rechten und Pflichten gleich behandelt, sanktioniert es faktisch die ursprüngliche Ungleichheit.«

Abends um neun Uhr, Maxi putzt sich die Zähne. Seine Mutter sitzt am Esstisch, daneben plätschert ein Aquarium, aus der Küche hört man den Kühlschrank brummen. »Wir haben zuerst gar nicht gerafft, wie wichtig die vierte Klasse ist«, sagt sie, »so was wie ein Übertrittszeugnis gab es zu meiner Zeit nicht.« Kurz vor Weihnachten habe sie Frau Bossenmaier beim Elternabend informiert, »dass man da einen bestimmten Notendurchschnitt braucht«. Die Lehrerin meinte, Maxi müsse mehr tun, sonst werde es eng werden für die Realschule. Also begann der Junge mehr zu lesen und Diktate zu üben, seine große Schwäche. Gern würde ihn seine Mutter dabei öfter unterstützen, aber sie arbeitet ganztags als Zahnarzthelferin und kommt häufig erst abends um halb sieben nach Hause. Die Nachmittage verbringt Maxi daher im Hort oder bei seinen Großeltern. »Als Alleinerziehende«, sagt sie, »ist man schon ein Affe.«

Mittwoch, 2. Mai, der Tag der Zeugnis-vergabe. Die Schüler der 4e sind etwas unruhiger als sonst. Vielleicht auch, weil sie schon fünf Stunden hinter sich haben. In Mathematik geht es heute um Hohlmaße. Frau Bossenmaier hat Tassen, Gläser, Flaschen und einen Maßkrug mitgebracht, damit die Schüler ein Gefühl für das Thema bekommen. Sie sollen die einzelnen Behälter mit Wasser füllen und messen, wie viele Milliliter oder Liter hineinpassen. Wann immer möglich, versucht die Lehrerin, den Unterricht für die Schüler anschaulich zu gestalten. Trotzdem, sagt sie, »springt in der vierten Klasse einfach die Leistungsschere auf«. Vieles von dem, was die Kinder lernen, baut auf dem Wissen der Vorjahre auf. »Wenn ich zu Hause eine Stunde vorbereite, weiß ich schon, wann mir welche Schüler aussteigen werden.«

Die Zeugnisvergabe verläuft überraschend reibungslos. »Wenn ihr eure Noten austauscht, macht das bitte nach dem Unterricht«, hat Frau Bossenmaier gesagt. Als der letzte Schüler sein Zeugnis bekommen hat, ertönt auch schon der Gong. Die Bilanz der 4e: Zehn Schüler erfüllen die Voraussetzungen für das Gymnasium, acht werden auf die Realschule wechseln. Bleiben fünf, die auf die Hauptschule gehen müssten. Aber zwei von ihnen haben sich für den Probeunterricht an der Realschule entschieden, eine Prüfung, die im Erfolgsfall die Tür zur Realschule öffnet. Die drei anderen Schüler wollen sich für die Orientierungsstufe in München-Neuperlach anmelden.

Die Orientierungsstufe ist eine Schulform, die eher nach Berlin oder Bremen passt als ins streng leistungsorientierte Bayern: Die Schüler, egal welchen Notenschnitt sie in der vierten Klasse hatten, bleiben zwei weitere Jahre zusammen – wie in der Grundschule. »Wir sind zwar nicht der Weisheit letzter Schluss«, sagt der Schulleiter Dieter Hüttner. Aber letztes Jahr wechselten immerhin sechzig seiner Sechstklässler ans Gymnasium, obwohl nur zwanzig von ihnen Ende der vierten Klasse den dafür nötigen Schnitt hatten. Am liebsten würde Hüttner die Orientierungsstufe künftig bis zur zehnten Klasse ausbauen, weil er die Schüler an seiner Schule besser aufgehoben glaubt, »am Gymnasium wird doch nur noch gnadenlos ausgesiebt«. Daraus wird wohl nichts, denn erstens geht er demnächst in Rente und zweitens »ist das politisch nicht gewollt«.

Einen Tag nach der Zeugnisvergabe. Der rothaarige Daniel zeigt sein neues Handy im Klassenzimmer herum, ein Geschenk seiner Mutter, weil er das mit dem Gymnasium gepackt hat. Am Abend treffen sich elf Mütter und Frau Bossenmaier in einer Kneipe nahe der Schule zum Elternstammtisch der 4e. Eigentlich kommen immer dieselben zu dem zwanglosen Treffen, um Probleme im Schulalltag und künftige Projekte zu besprechen: acht Mütter von künftigen Gymnasiasten, drei Mütter von Realschülern. Eltern von Hauptschulkandidaten sind nicht vertreten. Dieses Mal geht es um den Verkehrsunterricht und die Abschlussfeier im Juli. Auch das vergangene Schuljahr ist noch einmal Thema in der Runde. »Es war ein schönes Jahr«, sagt die Mutter der künftigen Gymnasiastin Alice, »aber warum jetzt schon dieser Druck? Die Kinder bekommen doch später im Leben noch genug Druck.«

»Kinder wollen etwas leisten und sie wollen sich auch messen«, sagt Schulrektor Hoderlein. Trotzdem hält auch er die jetzige Übertrittsregelung für problematisch. Er würde lieber die Eltern entscheiden lassen, auf welche Schule ihr Kind nach der vierten Klasse wechselt. »Ständig ist von der Verantwortung der Eltern die Rede – nur beim Übertritt nicht. Warum sollen wir als letzte Instanz festlegen, wo es hingeht? Es gibt nachweislich genug Schüler, bei denen der Knoten nicht in der vierten Klasse platzt, sondern erst später.«

German Denneborg, Ministerialrat im Bayerischen Kultusministerium, hegt sogar Sympathien für die Idee, den Elternwillen zum entscheidenden Kriterium für den Übertritt zu erheben. »Das wäre dann aber der Tod der Hauptschule.« Er hält es eher für geboten, den Eltern zu erklären, dass mit der vierten Klasse keineswegs die Würfel gefallen sind. »44 Prozent der bayerischen Schüler holen sich ihre Hochschulreife außerhalb des Gymnasiums. Das wissen nur die wenigsten Eltern. Und wenn wir es ihnen mitteilen, glauben sie uns nicht. In Sachen Schule richten sich die Eltern nach den Nachbarn, Freunden oder Schülern im Bekanntenkreis. Dann kommen die Lehrer und zuallerletzt unsere Broschüren.«

Acht Tage nach dem Übertrittszeugnis, die Leistungsbereitschaft in der 4e ist deutlich gesunken. Frau Bossenmaier hat deshalb ein neues Belohnungssystem eingeführt: Wer es eine Woche lang schafft, alle Hausaufgaben zu machen und obendrein Geodreieck, Zirkel, Hefte und Bücher zum Unterricht mitzubringen, bekommt übers Wochenende die Hausaufgaben erlassen. Wer dagegen fünfmal pro Woche schludert, muss nachmittags eine Stunde nacharbeiten. Aufgefallen ist der Lehrerin auch, dass Vanessa seit der Zeugnisvergabe zweimal eine Vier geschrieben hat und selbst an einfachen Aufgaben im Unterricht scheitert. Offenbar hat ihre Mutter Wort gehalten und die abendliche Abfragerei eingestellt.

Auch bei Maxi zu Hause gibt es neue Regeln. Seine Mutter hat ihm für die nächsten Tage verboten, am Computer »World of Warcraft« zu spielen. Sein Fernseher steht zwar weiterhin in seinem Zimmer, die Mutter hat ihm aber auch einen Ausweis für die Bücherei besorgt, damit er sich Bücher ausleihen und mehr lesen kann. Maxi ist einer der beiden Schüler aus der 4e, die sich für den Probeunterricht an der Realschule angemeldet haben. Drei Tage lang wird er über den Stoff des vierten Schuljahres geprüft werden, Mathe und Deutsch, schriftlich und mündlich – Maxis letzte Chance, um die Hauptschule doch noch zu vermeiden.

Er bereitet sich mit einem Buch vor: Ziel Realschule. Es enthält Mathe- und Deutschaufgaben früherer Prüfungen und stammt von einem kleinen Verlag, der auch den Titel Ziel Gymnasium vertreibt. Voriges Jahr wurden die beiden Bücher 12000-mal in Bayern verkauft, das sind 25 Prozent mehr als 2001, obwohl die Zahl der Grundschüler im selben Zeitraum zurückging. Einige Diktate hat Maxi schon durchgearbeitet. Er kam jedes Mal auf mehr als 20 Fehler. Das Buch enthält auch einen Notenschlüssel: Mehr als zwölf Fehler bedeutet Note sechs. Gestern schlich Maxi um halb elf Uhr abends zur Mutter ins Wohnzimmer. »Ich kann nicht schlafen«, sagte er. »Irgend etwas arbeitet in ihm«, sagt sie.

Die Pfingstferien rücken näher und Frau Bossenmaier ist froh, dass die kritische Phase in der 4e überstanden ist. Im Großen und Ganzen hätten die Schüler das erreicht, was von ihnen zu erwarten war. Natürlich weiß die Lehrerin, dass hinter all den Noten ein Fragezeichen steht: Welchen Einfluss hat das Umfeld, die Eltern und Geschwister, die Freunde und Bekannten? Am Intelligenzquotienten der einzelnen Kinder kann es wohl nicht liegen, dass in Bayern etwa 35 Prozent der Grundschüler nach der vierten Klasse auf das Gymnasium wechseln, in München aber 50 Prozent und an manchen Schulen in den gehobenen Vierteln der Stadt sogar 70 bis 80 Prozent. Wie sind etwa die Noten eines Adam zu bewerten, der acht Geschwister hat und in der 4e vor allem dadurch auffiel, dass er ständig ohne Hefte und Stifte zur Schule kam? Und jetzt in die Orientierungsstufe wechseln sollte, aber von seinen Eltern nicht rechtzeitig angemeldet wurde? »Dann geht er halt auf die Hauptschule«, hat die Mutter gesagt.

Der letzte Freitag im Mai, endlich Pfingstferien. Maxi kommt nach Hause und findet ein Schreiben der Fridtjof-Nansen-Realschule im Briefkasten, adressiert an seine Mutter. Sie ist noch in der Arbeit. Also öffnet er das Kuvert selbst und liest: »Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn Maximilian den Probeunterricht nicht bestanden hat. Der Aufnahmeausschuss kam nach eingehender Beratung zur Auffassung, dass Ihr Sohn zum jetzigen Zeitpunkt nicht für die Realschule geeignet ist.« Maxi weint viel an diesem Abend und geht früh zu Bett, weil er Kopfschmerzen hat.

Die Bilanz der 4e nach einem aufwühlenden Schuljahr: Zehn Kinder gehen aufs Gymnasium, neun auf die Realschule, zwei in die Orientierungsstufe, zwei auf die Hauptschule. Offen bleibt die Frage, ob es nötig ist, bereits zehnjährige Kinder unter Druck zu setzen, um sie dann in Gewinner und Verlierer zu sortieren.


Literatur, seitwärts......

Irene Berkel, Missbrauch als Phantasma, Zur Krise der Genealogie, Wilhelm Fink Verlag Hamburg,

Short Essay:

Manfred Spitzer

Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft

Kinder am Bildschirm

[...] Bei Kindern ist das Sitzen vor dem Bildschirm mittlerweile die wichtigste Ursache für Übergewicht, mit all den damit verbundenen ungünstigen körperlichen und seelischen Folgen (Kapitel 2). Wenn wir die Entwicklung so weiter laufen lassen wie bisher, dann verursachen Bildschirme im Jahr 2020 hierzulande jährlich etwa 40.000 zusätzliche und vermeidbare Tote aufgrund von Herzinfarkten, Zuckerkrankheit und Schlaganfällen sowie Lungenkrebs. Diese Zahlen sind vorsichtig geschätzt, stellen also eher die untere Grenze dessen dar, womit man rechnen muss. Es kann deutlich schlimmer kommen.

Die leichte Verformbarkeit von Kindern betrifft Körper und Geist. Weil sich frühe Einflüsse auf ein Menschenleben über fast dessen gesamte Dauer auswirken, haben jegliche formende Erfahrungen umso größere Auswirkungen, je früher sie im Leben eines Menschen erfolgen. Wir sehen dies gleich im nächsten Kapitel: Wer als Kind dick ist, hat gute Chancen, als Erwachsener ebenfalls dick zu sein. Ist ein Lebensweg erst einmal eingeschlagen, so ist er im Erwachsenenalter nur noch schwer zu korrigieren. Man spricht heute zuweilen davon, dass auch das Fettgewebe eine Art Gedächtnis hat.

Die Auswirkungen von Bildschirm-Medien betreffen daher in erster Linie Kinder und Jugendliche. Hier sind die Effekte mit Abstand am stärksten, weil sie sich schon rein körperlich am längsten auswirken. Richtig wichtig wird die besondere Betrachtung von Kindern jedoch vor allem dann, wenn es um Geist und Gehirn geht. Hier kommen Entwicklungs-, Reifungs- und Lernprozesse, die bis zum Ende des zweiten Lebensjahrzehnts ineinander greifen, hinzu.

Vor diesem Hintergrund gibt die folgende Tatsache zu denken: In den USA verbringen Zweijährige im Durchschnitt bereits zwei Stunden täglich vor dem Bildschirm. Sie werden also bereits sehr früh sehr heftig an das Medium Bildschirm gewöhnt. Gerade bei Säuglingen und Kleinkindern ist jedoch der Ersatz von wirklicher Wahrnehmung durch den Bildschirm besonders problematisch. Die vom Bildschirm vermittelten Wahrnehmungserlebnisse sind von der normalen Wahrnehmung verschieden, und es ist dieser Unterschied in der Form der Wahrnehmungserlebnisse, der sich auf die Formung des kindlichen Geistes ungünstig auswirkt. Bildschirme können noch so bunt sein, das Bild ist flach und der Inhalt verglichen mit der Wirklichkeit arm, riecht nicht, schmeckt nicht und lässt sich nicht anfassen. Wenn kleine Kinder einen wesentlichen Teil ihrer Zeit vor dem Bildschirm verbringen, dann muss dies ungünstige Auswirkungen auf deren Entwicklung haben, wie in den Kapiteln 3 und 4 ausführlich diskutiert und mit Daten belegt wird.

Schulkinder und Bildschirm-Medien

Mit dem Fernsehen ist es wie mit Beton: Es kommt darauf an, was man draus macht. Man kann sich auf Tier- oder Kulturfilme beschränken und vor allem dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche mit dem Medium Fernsehen nur „wertvolle“ Inhalte zur Kenntnis nehmen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Wie sie genau aussieht, wird in Kapitel 5 anhand der wenigen guten Daten, die es für Deutschland gibt, diskutiert.

Fernsehen im Vorschul- und Schulalter wirkt sich nachteilig auf die Entwicklung der Fähigkeit des Lesens aus. Was man hierüber weiß und was man tun könnte, ist ebenfalls Gegenstand von Kapitel 5. Wieder kann man ausrechnen, dass wir im Jahr 2020 hierzulande aufgrund der Nutzung von Bildschirm-Medien jährlich mehrere zehntausend zusätzliche Fälle von Schulproblemen in Form von Aufmerksamkeits- und Lesestörungen haben werden, vorsichtig geschätzt, wenn wir nichts tun und die Dinge einfach so laufen lassen wie bisher.

Nicht erst seit den Ereignissen von Erfurt im April 2002 ist den Menschen bewusst, dass die Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen zunimmt. Bereits die in den USA während der Jahre davor aufgetretenen spektakulären Ausbrüche von Gewalt in Schulen machten deutlich, dass Gewalt im Leben der Schüler eine zunehmende Rolle spielt. Bei einer im Jahr 1993 in den USA durchgeführten Umfrage sagten 35% aller amerikanischen Schüler im 12. Schuljahr, sie würden nicht alt, denn sie glauben, vorher erschossen zu werden.

Weil die Bedeutung von Spielkonsolen und des Mediums Computer zunimmt und die Effekte dieser Spiele einerseits noch weniger untersucht sind, andererseits jedoch über die des Fernsehens nach den vorliegenden Daten hinauszugehen scheinen, werden in Kapitel 6 vor allem die Folgen der im Fernsehen dargestellten Gewalt besprochen (Abb. 1.4). Wären Bildschirme nie erfunden worden, dann gäbe es allein in den USA jährlich etwa 10.000 Morde und 70.000 Vergewaltigungen weniger sowie 700.000 weniger Gewaltdelikte gegen Personen, wie schon Anfang der 90er Jahre der Epidemiologe Brandon Centerwall (1992, 1993) berechnet hat.

Überträgt man diese Zahlen auf Deutschland, so kann man wiederum davon ausgehen, dass wir mit den üblichen etwa zehn Jahren Verzögerung amerikanische Verhältnisse bekommen, und berücksichtigt man zweitens die Tatsache, dass die Auswirkungen des Medienkonsums mit einer Verspätung von 10 bis 15 Jahren manifest werden, so ergibt sich folgendes Bild: Wenn wir die Entwicklung so weiter laufen lassen wie bisher, dann verursachen Bildschirme im Jahr 2020 hierzulande jährlich zusätzlich einige hundert Morde, einige tausend Vergewaltigungen und zehntausende von Gewaltdelikten gegen Personen. Ändern sich die politischen Verhältnisse und damit auch die kulturellen Gepflogenheiten zusätzlich (z.B. durch die Auswirkungen von Globalisierung und Migration), dann kann es auch deutlich schlimmer kommen.

Die erstaunlich rasche Verbreitung von Spielkonsolen und Computerspielen und die Folgen für die Spielenden sind Thema von Kapitel 7. Berichte über positive Auswirkungen halten einer kritischen Bewertung nicht stand. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass in Computerspielen die Gewalt noch aktiver eingeübt wird als beim passiven Fernsehkonsum.

Es lohnt sich also, einmal darüber nachzudenken, was es bedeutet, dass Bildschirme unsere Wahrnehmungswelt verändert haben. Das Sehen stellt die mit Abstand wichtigste Modalität der Wahrnehmung dar. Bildschirme versorgen uns zunehmend mit visuellem Input, ersetzen also die wirkliche Welt als Wahrnehmungsgegenstand. Dies hat Konsequenzen – so die einfache These dieses Buches.

Diese Konsequenzen beziehen sich erstens auf die formalen Aspekte des Wahrgenommenen (ein Auto auf einem Bildschirm ist etwas anderes als ein wirkliches Auto), zweitens auf die über Bildschirm-Medien verbreiteten Inhalte (in Deutschland nach dem oben angeführten Spot des SWR beispielsweise 536 Morde pro Woche) und drittens auf die Veränderung unserer alltäglichen Lebensgewohnheiten (wir verbringen zehnmal mehr Zeit vor dem Bildschirm als mit körperlicher Bewegung an der frischen Luft). Man muss sich also fragen, warum wir – und vor allem, warum Kinder und Jugendliche – so sehr an den Bildschirmen kleben und was man tun kann, um die drohenden ungünstigen Entwicklungen zu verhindern.


Studie: Zu viel Fernsehen und Computerspiel produzieren Schulversager.

Fernseher und Computer in Kinderzimmern führen einer aktuellen Studie zufolge zu schlechteren Schulnoten - je brutaler die Inhalte, desto schlechter die Zensuren. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), die am Freitag in Düsseldorf vorgestellt wurde. Betroffen sind meist Jungen, Kinder aus sozial schwachen sowie Migrantenfamilien, Norddeutsche eher als Süddeutsche.

Die Studie mit dem Titel "Die Pisa-Verlierer - Opfer ihres Medienkonsums“, untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen und ihren Zensuren.

Die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer und der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann (beide CDU) appellierten an die Eltern: "Bildschirmgeräte gehören nicht in Kinderzimmer von Grundschülern.“ Sommer mahnte: "Bei Grundschulkindern sind bis zu einer Stunde Fernseh- oder Computerzeit pro Tag akzeptabel. Kinder unter zehn Jahren sollten nicht ohne Begleitung eines Erwachsenen im Internet surfen.“

Die Analyse belege, dass alle vier Pisa-Verlierergruppen - Jungen, Migranten, Norddeutsche, Ärmere - schon als Viertklässler über eine erheblich größere Ausstattung mit Fernsehern, Spielkonsole und Computer verfügten als ihre jeweilige Gegengruppe, stellte KFN-Leiter Christian Pfeiffer fest. "Kinder, die mit Medien vollgepflastert sind, zeigen schulisch eine absteigende Tendenz.“

Ein Experiment habe ergeben, dass Kinder, die nach der Schule eineinhalb Stunden ein brutales Computerspiel spielten, anschließend erheblich schlechter Mathematikaufgaben lösen konnten als Kinder, die stattdessen Tischtennis gespielt hatten. Anhand einer mehrjährigen Studie mit über 1000 Kindern in Berlin prüfe sein Institut gerade die Arbeitsthese: "Übermäßiger Medienkonsum macht Kinder dick, krank, dumm, traurig - vielleicht auch aggressiv.“

Laut KFN-Studie besitzen Jungen zu 38 Prozent eine eigene Spielkonsole, Mädchen dagegen nur zu 16 Prozent. Beim Vergleich von Migranten mit deutschen Kindern fällt der Unterschied mit 44 zu 22 Prozent ähnlich groß aus. Norddeutsche Kinder verfügen zu 42 Prozent über ein eigenes Fernsehgerät, süddeutsche nur zu 27 Prozent.

Extremfälle im Norden

Im Extremfall bringt es ein zehnjähriger Junge aus einer bildungsfernen Migrantenfamilie in Norddeutschland pro Schultag auf rund 4 Stunden Medienkonsum, am Wochenende sogar auf 5 Stunden und 40 Minuten. Ein deutsches Mädchen aus Süddeutschland, von dem mindestens

ein Elternteil Abitur hat, kommt dagegen an Schultagen nur auf 43 Minuten, an Wochenenden auf 54 Minuten.

Besonders drastisch wirkt sich der Bildungshintergrund der Eltern bei verbotenen Filmen aus. Viertklässler aus Elternhäusern mit geringem Bildungsniveau gaben acht Mal häufiger an, Spiele zu spielen, die erst ab 18 Jahren freigegeben sind, als Kinder mit gebildeten Eltern. Weit überwiegend sind Jungen die Nutzer, die auch mehr als doppelt so häufig verbotene Filme sehen wie Mädchen.

"Es müssten mehr Spiele indiziert werden“, forderte Pfeiffer. Indizierte Spiele fänden sich bei den Kindern fast nie. Da für sie keine Werbung gemacht werde, hätten sie auf dem Schulhof kaum einen Marktwert. Dagegen machten Spiele mit Altersbeschränkung "die Kinder richtig scharf“. Der weit verbreitete Konsum zeige: "Der Jugendschutz ist ein Papiertiger.“ Pfeiffer forderte die Jugendminister auf, gegen die Freigabe des Spiels World of Warcraft schon ab 12 Jahren tätig zu werden. Es verleite Jugendliche zu suchtartigem, stundenlangem Spiel.

Ein Ausweg aus der Bildungsspirale nach unten seien Sport, Musik und der Ausbau der Ganztagsschulen, sagte Pfeiffer. "Alle Pisa-Siegerländer sind Ganztagsschulländer. Das schützt die Kinder.“ Musik sei für Kinder "eine Schutzimpfung gegen Medienverwahrlosung“. Die NRW-Initiative "Jedem Kind ein Instrument“, die an den Grundschulen im Ruhrgebiet gestartet wurde, sei vorbildlich für alle Bundesländer.

Harsche Kritik äußerte der Kriminologe an der Ausweitung des Stundenvolumens durch die Schulzeitverkürzung bis zum Abitur. "Die Kultusminister haben Fehler begangen. Sie hätten erst den Lehrstoff entrümpeln müssen.“ Das Unterrichtsvolumen sei zu viel. "Das ist Stress, der den Kindern nicht gut tut.“ Als "Schnapsidee“ bezeichnete Pfeiffer die - auch von Sommer vorgeschlagene Idee - auf den Samstag auszuweichen. Busemann und Sommer betonten, die Straffung des Lehrpläne sei bereits in Arbeit.

Für die KFN-Analyse wurden 5500 Viertklässler und 17.000 Neuntklässler befragt. Außerdem wurde eine seit 2005 laufende wissenschaftliche Untersuchung mit über 1000 Berliner Kindern ausgewertet sowie ein Experiment zur Zusammenhang zwischen Freizeitbeschäftigung und Konzentrationsleistung.

(dpa/mri)


Körperliche Züchtigung immer noch weit verbreitet

Kinder haben seit dem Jahr 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Seit dieses Recht gilt, nahm die häusliche Gewalt ab. Eine erfreuliche Tendenz, doch immer noch scheint vielen körperliche Züchtigung ein "sinnvolles" Erziehungsinstrument zu sein: Schlagen, Würgen, Schütteln, Treten. Die Misshandeln kann sogar zum Tod führen. Selbst leichte Ohrfeigen oder ein Klaps sind schon körperliche Gewalt. Es ist sogar die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen, die unter Einsatz körperlicher Gewalt von ihren Eltern erzogen wird, stellte das Bundesministerium für Jugend, Familie und Soziales fest. Etwa jedes fünfte bis sechste Kind erlebt sogar schwerere Formen von Züchtigung, jedes zehnte eine Form von Gewalt, die auf Kindesmisshandlung hindeutet. Viele Kinder müssen Gewalt gegen die Mutter vom Vater oder Stiefvater beobachten.

Gewalt wird erlernt

Der Pädagoge Martin Textor schreibt in einem Online-Ratgeber: "Gewalttätige Eltern wurden oft selbst als Kinder misshandelt; sie lernten, körperliche Züchtigung als akzeptable Erziehungstechnik zu betrachten (Zyklus der Gewalt)." Oft resultiert extreme Gewalt aus Stress und Überforderung, Kinder werden zu Sündenböcken für berufliche Misserfolge, wirtschaftliche Notlagen oder den Streit mit dem Partner. Oft sind gerade Eltern kinderreicher Familien überfordert und können Aggressionen nicht mehr kontrollieren. Andere bestrafen ihre Kinder, von denen sie enttäuscht sind, weil sie die erwarteten Leistungen in Schule oder Sport nicht erbringen.

Hintergründe der Gewalt

Ohnmacht, Hilflosigkeit, autoritärer Erziehungsstil, mangelnde Erziehungskompetenz, Überforderung - was steckt dahinter? Der Münchener Psychotherapeut Bruno Waldvogel erläutert die Hintergründe: "Meistens ist es der Endpunkt einer Spirale von familiären Konflikten und Überforderungen der Eltern. In eher wenigen Fällen ist die Ursache eine schwere psychische Erkrankung eines Elternteils oder der Eltern. Manchmal soll eine Gewalttat wie das Umbringen eines Kindes sexuellen Missbrauch verdecken. Bei Patchworkfamilien ist es eher so, dass der hinzugekommene Teil sich von der engen Bindung des leiblichen Elternteils und des Kindes ausgeschlossen fühlen kann. Oder dass er sich möglicherweise auch von dem Kind eher abgelehnt fühlt, frustriert und gekränkt ist, was wiederum zu Aggressionen führen kann."

Viele Eltern überfordert

Immer wieder erschüttern tragische Fälle von Kleinkindern, die zu Tode geprügelt werden die Öffentlichkeit "Solche Tötungsdelikte hat es leider schon sehr viele gegeben, sowohl in Patchworkfamilien als auch in herkömmlichen Familien", stellt Waldvogel klar. "Kinder sind nicht nur in jeder Situation Sonnenscheine, sondern stellen manchmal Anforderungen, die von den Eltern als Anmaßung oder Überforderung erlebt werden. Mitunter werden sie auch mit direkter Aggressivität eingefordert. Und wenn Eltern hier nicht ausreichend gelernt haben, wie man sich mit solchen Kindern gütlich einigt, dann sind sie überfordert. Das kann dazu führen, dass sie ihre Position gewaltsam vertreten."

Ist dies also ein Plädoyer für Erziehungskurse für Eltern? Selbst wenn man die Hintergründe und Beweggründe erklären kann, so kann man die Tat nicht entschuldigen. Helfen kann hier nur Prävention, denn Kleinkinder können sich selten erfolgreich wehren, sie sind abhängig von ihren Eltern. Auf jeden Fall ist es ein Aufruf, genauer hinzuschauen und sich einzuschalten und nicht die Mittel für soziale Betreuung gefährdeter Familien zu kürzen.

T-online, am 20.8.2010

 

Man sollte sich vorstellen, dass sich auch der Startbildschirm eines öffentlichen Servers sicher zum Gewaltproblem aktiv verhält, indem er Gewalt benennt, und sie zugleich als falsch bezeichnet. Die aufdringlichen Leistungsbilder der Markenartikelwerbung tragen passiv dazu bei. Wer ein objektives Interesse an einem friedlicheren Zusammenleben der Menschen hat, trägt garnicht erst zum medialen Horror bei.

GamePro, 24.08.2010

 

Über den MSN-Browser kam am 24.8. 2010 die Meldung:

Virtuell töten als Taliban

Die Widerstand gegen Medal of Honor zieht immer weitere Kreise. Nachdem mehrere Länder sich bereits für ein Verbot des Ego-Shooters ausgesprochen haben, kritisiert nun auch die Bundeswehr den Titel aufs Schärfste. Der Grund: Die Handlung spielt in Afghanistan und Spieler können auch in die Rolle der Taliban schlüpfen.

Die Widerstand gegen den Ego-Shooter Medal of Honor zieht immer weitere Kreise. Nachdem sich am Wochenende bereits mehrere Länder für ein Verbot von Medal of Honor ausgesprochen haben, kritisiert nun auch die Bundeswehr den Titel aufs Schärfste. Der Grund: Die Handlung des neuesten Teil der Serie spielt in Afghanistan.

»Es ist widerwärtig, so ein Spiel auf den Markt zu bringen, während in Afghanistan Menschen sterben", äußerte sich Bundeswehrverbandssprecher Wilfried Stolze empört darüber, dass der Spieler unter anderem auch in die Rolle der Taliban schlüpfen kann.«

Bereits am Wochenende hat sich der britische Verteidigungsminister Liam Fox vehement gegen die Veröffentlichung von Medal of Honor ausgesprochen. In einem Interview äußerte Fox sein ganzes Unverständnis darüber, wie Electronic Arts auf die Idee kommen könne, einen Multiplayer-Modus zu entwickeln, in dem der Spieler sich auf Seiten der Taliban schlagen kann.

»Ich bin empört und ärgerlich. Es ist schwer zu glauben, dass sich ein Bürger unseres Landes den Kauf eines derart unbritischen Spieles wünscht. Ich bitte unsere Versandhändler und Shops inständig, dass Sie unsere bewaffneten Truppen unterstützen und den Verkauf dieses geschmacklosen Spiels verbieten.«

Auch in den USA mehren sich die Stimmen, wonach der Ego-Shooter nicht verkauft werden dürfe. Electronic Arts indes sieht sich keiner Schuld bewußt. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus wies ein Firmensprecher des Publishers jede Anschuldigung von sich. »Wenn aktuelle Gewalt in Büchern, Filmen oder im TV thematisiert werden darf, warum nicht auch in einem Game.«

Medal of Honor ist am 14. Oktober 2010 in Deutschland erscheinen.


Ich kehre von den gesammelten Texten zur medialen Gewaltvorstrukturierung wieder ab.

Die folgenden Bilder zeigen die Erweiterungsarbeiten an einem öffentlichen Gebäude. Ich nehme diese Bilder einer unvollständigen öffentlichen Baustelle nicht nur vom ordnenden Bildprinzip der Perspektive, sondern auch um aufbauend den Gegensatz zum Abriss von bisher öffentlichen Gebäuden zu zeigen. Persönlich mag ich den rauhen Reiz des Unfertigen, denn es lässt zumindest noch die Möglichkeit zu, erfreut und erwartungsfroh neue Strukturen entstehen zu lassen, solange es noch unfertig ist.


Bild: Perspektive_118.jpg
:

Bild: Perspektive_119.jpg
:

Bild: Perspektive_120.jpg
: ein Gerüstbau seitlich, zur Wärmeisolation

Bild: Perspektive_121.jpg
: ebenso, aber..... hier sind längst neue Räume entstanden

Bild: Perspektive_122.jpg
:

Bild: Perspektive_123.jpg
:

Bild: Perspektive_124.jpg
: es kann alles noch entstehen und das macht neugierig

Meistens wird man einen solchen Erweiterungsbau aber bereits zur inneren Ablaufsverbesserung von Dienstleistungs- und Repräsentationsaufgaben verplant haben. Es kann durchaus aber auch sein, dass andere Aufgaben hinzu kommen und sicher greift das weit in den nächsten Betrachtungszeitraum hinein.

Ich kann mir gut vorstellen, dass in diesem dunklen Geviert auch dezentrale Aufgaben konzentrierter aufgehoben sind, die bisher viel teure Bewegung nötig machten. Sich bewegen, arbeiten und leben müssen nur die da draußen.


 

Es gibt aber auch die andere Gewalt, die verwahrlosen lässt und nicht mehr pflegt, wenn niemand mehr hinschaut oder etwas zum Erhalt beiträgt und kein öffentliches ganzheitliches Interesse zwingend für eine Umwidmung sorgt.


Bild: Gewalt_Bol_7:jpg
: ein Haus hinter dem Deich von Boltenhagen, an fast vorderster Linie zum Strand und in einer der besten Lagen


Bild: Gewalt_Meike_001.jpg
: eine frühere Tierfutteraufbewahrungshalle, ausgebrannt, leer, sinnlos, aber durchaus mit ihrem augenscheinlichen Reiz


Bild: Gewalt_Liebermann_21.jpg
: dieses Bild hier als Kontrast gesetzt. Liebermann pflegte seinen Garten.

Auch die Pflege seines Angedenkens als bedeutendem deutschen Spätimpressionisten ist eine Art der Bewahrung.

Liebermanns Andenken zu wahren liegt ganz sicher im öffentlichen Interesse.

 

Gleichwohl sollte aber auch diese landwirtschaftliche Hallenruine abgerissen und eingeebnet werden, denn wer woanders eine neue Nutztierzucht hinstellt und betreibt, gewinnt durch diese Stilllegung. Es ist ungerecht, Gewinne zu individualisieren und Verluste anonym zu kollektivieren.

Dasselbe scheint mir auch für Tourismushochburgen zu gelten, die dem jeweiligen modischen Zeitgeist nachlaufen und woanders abgewirtschaftete Hüllen übrig lassen, weil sich niemand mehr darum sorgt.


 

Ich kehre wieder zu den friedlichen und hell leuchtenden Rapsfeldern zurück und nahm sie dieses Jahr besonders deutlich wahr.


Bild: Raps_2_2010.jpg
: seitliches Foto aus dem Autofenster, ein Stau.......


Bild: Raps_3_2010.jpg
: Geduld entwickeln


Bild: Raps_4_2010.jpg
: es wird wieder heiterer


Bild: Raps_5_2010.jpg
: ...und wieder freier


Bild: Raps_6_2010.jpg
: Nähe und Ferne etwas konzentrierter.


Bild: Raps_Spes_1_2010.jpg
: diese drei Urlaubsfotos wurden mir geschenkt, aber ich betrachte sie als zutreffender für die Nähe und Ferne in einem Bild, weil sie aus der Augenhöhe gemacht sind


Bild: Raps_Spes_2_2010.jpg
: ein Urlaubsbild zeigt auch den Erholungswert eines langen flachen Strandes ....


Bild: Raps_Spes_3_2010.jpg
: ebenso; man kann sehr gut gerade auch in der Bewegung des Hubschrauberfluges sehen, wie die geraden Straßen die Felder zerschneiden. Die Feldwege kommen ja aus einer anderen Zeit und bilden langsam eine kleine schützende Allee mit bergenden Bäumen und Gebüsch aus. Die schnellere Fahrstraße oder gar die Eisenbahn wirken da wie ein willkürlicher harter Schnitt und es ist gut, dass das alte Feld noch erhalten ist.

 

Ein ganz anderes Feld durfte ich noch sehen:


Bild: Ro_Segel_2010.jpg
: neugierig den Vorbereitungen für einen kurzen Törn zugesehen....


 

Nachbemerkungen:

Ich habe dieses Material seit 2007 zusammen getragen und es ist nicht mehr aktuell im Sinne der Zeitungsausrisse, als man noch auf wesentliche Strukturreformen wartete, aber erschrocken den medialen Gewalteintrag registrierte.

 


Bild: Ro_Frühstück_51.jpg
: sonntags gibt es Brunch, im Lokal oder auch draußen, und auch die Raucher haben eine Markise im Freien. Wirklich ein unerwartet und wunderschönes Lokal, wie bei Amelie.... und man kann lustvoll genießen.

Reinhard von Tümpling, im Oktober 2010, für N.N.