freiRäume
Projekttage in den Kirschen 15.5. - 19.5.03
der Samuel-Heinicke-Schule (SchulCentrum Augustinum)
Fachoberschule für Hörgeschädigte, Fachbereich Gestaltung, München
Klassen 11 G + 12 G
Mit freundlicher Unterstützung
des Architekturbüros Pongratz & Sonanini und
des Philadelphischen Rings e.V. München
Betreuung: Hubert Kretschmer und Andreas Riedlberger
In den Gebäudekomplexen B und B1
der ehemaligen Bayerischen Landesschule für Blinde
In den Kirschen 1, 80992 München
Verkehrsverbindung
Mit der Tram 17 (Richtung Amalienburgstr.) bis Maria-Ward-Straße,
weiter zu Fuß auf der linken Straßenseite auf dem Wintrichring,
erste Straße links einbiegen in die Kirschen.
Pressetext
Wilde Farbexplosionen in ehemaliger Blindenschule
Fachoberschüler und Realschüler nutzen „freiRäume“ vor Umbau des Gebäudes zu Rauminstallationen
Pressetermin: Dienstag, 24. Juni, 11.30 Uhr
Ehemalige Bayerische Landesschule für Blinde
In den Kirschen Nr. 1, Gebäudeteil B und B1
(Zugang über Wintrichring gegenüber Krankenhaus Dritter Orden)
München, Mai 2003: Eine Explosion von Farben bedeckt Wand und Fenster, stellenweise sind tiefe Krater in den Putz geschlagen, Mobiliar wurde auf den Kopf gestellt, beklebt, bearbeitet. Alles, was in einer Schule sonst schärfstens untersagt ist, dürfen und sollen Schüler zur Zeit in der ehemaligen Landesblindenschule im Stadtteil Nymphenburg exzessiv ausleben: Im Rahmen des Kunstprojekts „FreiRäume“ nutzen Fachoberschüler die leerstehende Schule bis zum 9. Juli für künstlerische Rauminstallationen. Am 10. Juli rücken dann die Handwerker an, um das Gebäude in zweijähriger Arbeit seinem neuen Zweck zuzuführen: Dort entsteht unter Trägerschaft des Augustinum ein neues Schulzentrum für hörgeschädigte und gehörlose Schüler.
„Für uns alle ist das eine einmalige Chance“, so die Kunsterzieher Hubert Kretschmer und Andreas Riedlberger. Sie betreuen an der Samuel-Heinicke-Fachoberschule für Hörgeschädigte die Zweige Gestaltung und Darstellung. „Wo darf man sich sonst so hemmungslos ausbreiten?“. Das Schulgebäude habe eine eigenartige Aura ausgestrahlt. „Es bot Null optische Reize, nur rechte Winkel, dunkle Flure, keine Farben - eben für Blinde. Für jemand mit künstlerischen Ambitionen wirkte das wie eine Provokation“. Die Schüler hätten diese „Herausforderung“ sofort und spontan angenommen. Kein Maulen über die „Zusatzschichten“ nachmittags und am Wochenende. Schon jetzt sind aus den Klassenzimmern im tristen Alltagsgrau Gesamtkunstwerke völlig unterschiedlicher Prägung entstanden: Wilde Installationen mit Haufen von zerstörtem Mobiliar und irritierender Stroposkop-Beleuchtung, heitere Mosaike aus leuchtend bunten Glasscherben, schwarze Flächen über Decke und Wand mit bedrohlich leuchtenden Augen. Eine Skulpturenwand mit Kleiderbügeln, höhlenartige Installationen, in denen die Orientierung verschwimmt.
„Wir kommen gar nicht damit nach, immer neue Farbeimer vom Baumarkt anzuschleifen“, so die Kunsterzieher, die ebenfalls mit einem Raum arbeiten. „Alles, was hier rumliegt, wird verwendet: Klodeckel, Kleiderbügel, alte Schulbänke, Regalbretter, Vorhänge“. Entstanden seien beeindruckende Räume. „Viele Schüler haben uns sehr erstaunt und sind weit über das hinausgegangen, was wir sonst von ihnen kennen“, so Riedlberger.
Am 3. und 4. Juli jeweils von 16.00 bis 20.00 Uhr sind die „FreiRäume“ für die Öffentlichkeit zugänglich. Führungen für Schulklassen zwischen 2. und 8. Juli auf Anfrage. Zum Abschluss der Aktion feiert die Samuel-Heinicke-Schule, die gemeinsam mit der Landesschule für Gehörlose 2005 auf das neue Gelände umziehen wird, ein großes Fest auf dem Gelände.
Am Dienstag, 24. Juni ab 11.30 Uhr können Journalisten den Kunstschülern bei den Abschlussarbeiten zuschauen. Bildberichterstatter sind herzlich willkommen.
Ansprechpartner
Augustinum:
Eva Lettenmeier, 089 / 7098 ???, eva.lettenmeier@augustinum.de
Philipp von Essen, 089 / 7098543, philipp.essen@augustinum.de
Kunsterzieher: Hubert Kretschmer, 089 / 12345 30, hubert.kretschmer@t-online.de
Andreas Riedlberger, 089 / 16 16 65, adreasbergen@t-online.de
Schulleitung Wolfgang Hatzak (Realschule), 089 / 8299000, rssca@aol.com
Reinhard Römer (FOS), 089 / 82 99 00-18, samheinickefos@aol.com
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Grenzenlose Kreativität in ehemaliger Blindenschule
Zuerst fallen die dürren Äste auf, die bizarr aus teerig blutenden Löchern in der Betonwand des Eingangsbereiches der ehemaligen Landesschule für Blinde ragen. Ein Rundgang durch das geräumte Gebäude in Nymphenburg, In den Kirschen 1, enthüllt immer weitere, beeindruckend kreative und vielfältige Produkte der Fachoberschüler des Fachzweiges Gestaltung der Samuel-Heinicke-Schule (Pasing). Zwei Stockwerke werden im Rahmen des Kunstprojektes „FreiRäume“ noch bis zum 9. Juli in künstlerische Rauminstallationen verwandelt.
Einen Tag später beginnen die umfangreichen Sanierungs- und Umbauarbeiten auf dem Gelände, das nach der Zusammenlegung der Landesschule für Blinde mit dem Sehbehindertenzentrum in Oberschleißheim frei wurde und nun zur Heimat für ein neu entstehendes Schulzentrum unter der Trägerschaft des SchulCentrum Augustinum werden soll. Die Samuel-Heinicke-Realschule für Schwerhörige und die staatliche Landesschule für Gehörlose mit integriertem Internat werden vereinigt, der Schulbetrieb startet voraussichtlich zu Beginn des Schuljahres 2005/2006.
Die leerstehende Schule zu gestalten, war laut Kunstlehrer Andreas Riedlberger „ein geniales Angebot“. Dem Schaffensdrang der Schüler sind dabei nur durch „tabu“-Schilder an einigen tragenden Wänden Grenzen gesetzt, sonst haben sie alle Möglichkeiten, ihre Ideen umzusetzen. Und so wurden bisher Mauern durchbrochen, Ornamente in die Wände gepickelt, Räume in allen Farben bemalt, bespritzt, verfremdet, Mobiliar an Decken geschraubt, die Schule buchstäblich auf den Kopf gestellt.
„ Wir waren überrascht, mit welchem Enthusiasmus und Engagement die Schüler dabei waren. Wir haben ganz neue Seiten an Ihnen kennen gelernt.“ zeigt sichauch Kunstlehrer Hubert Kretschmer begeistert. „Für uns alle ist das eine einmalige Chance“, da sind sich Lehrer und Schüler einig: Und so waren viele nicht nur die geplante Woche jeden Tag stundenlang an der Arbeit, sondern haben ihre Werke in den Pfingstferien vollendet. Kathrin Niederreiter und Miriam Zeitlmann aus der 11G haben ihren Raum „verkehrte Welt“ genannt. „Den ganzen ersten Tag waren wir damit beschäftigt, Müll zu fabrizieren und die Wand zu durchbrechen“ erzählt Kathrin. Und so hatten sie dann auch das erste Loch im Haus und damit einen Durchgang in den Nachbarraum geschlagen. Aus den Wandschränken wurden Toiletten, das Waschbecken ragt nun aus dem Boden, Papierkörbe baumeln von der Decke. Bodenfliesen kleben an den bunt gefleckten Wänden. Der Müll, die Bruchstücke, alles, was zu finden war, wurde verarbeitet. „Das Projekt hat uns sofort mitgerissen. Wann hat man schon mal eine solche Gelegenheit?“ so die beiden Mädchen.
Überhaupt waren die Schüler von dem Gedanken, die Welt im Kleinen zu verdrehen und im wahrsten Sinne des Wortes „FreiRäume“ zu schaffen, fasziniert. Jonas Pretterer wollte mit seinem überdimensionalen op-art-Wandgemälde„Raumgrenzen aufheben und verschwimmen lassen“. Claudia Huber malte eine farbenfrohe Unterwasserweltund klebte Fisch- und Pflanzenmosaike aus Spiegel- und Buntglasbruchstücken. Sie würde sich mehr solcher Möglichkeiten auch im regulären Schulalltag wünschen: „Viele Schulen sind triste Betonklötze und das ist schade. Man sollte Schulen viel farbenfroher gestalten.“ findet sie.
Die Lehrer Kretschmer und Riedlberger waren beeindruckt, welche ungeahnten Talente in den Nachwuchskünstlern noch schlummern, und das, obwohl sie dank kleiner Klassen und bester Lernbedingungen auch im Unterricht viele Möglichkeiten zu kreativer Arbeit haben. Vor allem die dramaturgischen Ideen hinter einigen der Arbeiten verblüfften sie, die Fähigkeit, die Entstehung des Produktes als Prozess zu begreifen und immer neue Ideen einzubinden. “Es ist einfach passiert“ ist auch das Fazit vieler nach ihren Intentionen befragter Schüler.
Der tiefschwarze, in orangefarbenes Licht getauchte Raum „Depression“ von Yasemin soll eine (glücklicherweise fiktive) Lebensgeschichte erzählen, gleichzeitig aber jedem Betrachter auch den Freiraum geben, seine eigenen Gedanken in die Interpretation zu integrieren.
Viele der Schüler griffen bei der Gestaltung „ihres“ Raumes auf erste Erfahrungen aus Praktika und Ferienjobs zurück. Man findet Spuren von Theater und Kulissenbau oder Räume, die an gigantische Farblehren erinnern. Kein Wunder, hat man es doch mit angehenden Kunststudenten, Grafik-, Industrie- oder Kommunikationsdesignern zu tun.
Im Nachhinein sind sich Kretschmer und Riedlberger einig, dass sie auf die zusätzliche Motivation durch Benotung der Arbeiten getrost hätten verzichten können. Sie räumen ein, dass es schwierig sei, die sehr individuellen Beiträge zu beurteilen und beziehen immer auch ihre Erfahrungen mit dem jeweiligen Schüler und die Kenntnis seiner Talente und Interessen mit ein.
Ein wenig wehmütig wird den meisten schon zumute, wenn sie daran denken, dass die Installationen schon bald Baggern und Presslufthämmern zu Opfer fallen werden. „Es gibt aber bereits jetzt unglaublich viel Fotomaterial über jede Phase des Projektes“ meint HubertKretschmer „und zahlreiche Überlegungen, wie man es noch einmal zur Dokumentation verwenden könnte.“
Zum Abschluss der außergewöhnlichen Aktion plant die Samuel-Heinicke-Schule auf dem Gelände ein großes Sommerfest. Am 3. und 4. Juli jeweils von 16.00 bis 20.00 Uhr sind die „FreiRäume“ für die Öffentlichkeit zugänglich.