Vorbemerkungen:
Bei der Suche nach neuen Themen und Bildmotiven für Linolschnitte stand ich immer wieder vor der Frage, inwieweit der Linolschnitt sich überhaupt als Träger inhaltlich-narrativer Bildthemen anbietet. Sind es nicht eher technische, formale Gesichtspunkte wie z.B. Komposition, Blattaufteilung, Weiß- und Schwarzanteile oder Liniencharakter etc, mit denen ein guter Linolschnitt steht oder fällt?
Sollten nicht insbesondere für ältere Schülerinnen und Schüler inhaltliche Belange erst einmal ausgeblendet werden, so dass der Inhalt nichts anderes darstellt als Schnitttechniken und formale Belange? Ich versuchte der Fragestellung noch weiter auf den Grund zu gehen, indem ich digital bearbeitete Bilder als Vorlage für Linolschnitte verwendete. Diesen Versuch führte ich in einer 10. Jahrgangsstufe durch unter Berücksichtigung des ersten Kapitels des Lehrplanes. (vgl. Ku 10.1/Bay. Lehrplan)
Die formale Reduktion und Abstraktion von Bilder mit Gegenwartsbezug lässt sich sehr gut am Computer mit Grafikprogrammen wie Adobe Photoshop durchführen. Die Kombination also von zwei auf den ersten Blick konträren Techniken, der digitalen Bildbearbeitung und der traditionellen Linolschnitttechnik, begann mich zu interessieren.
Bildfindung und digitale Bildveränderung
Bei der Suche nach Bildern für den Linolschnitt stand nicht der Inhalt des Bildes selbst, sondern die gestalterische Veränderung eines beliebigen Bildes, also das „Wie“ anstatt des „Wer oder Was“, im Vordergrund. Zunächst suchten sich die Schülerinnen und Schüler wahlweise ein Bild mit Gegenstandsbezug; dieses reduzierten sie auf formale Weise im Programm Adobe Photoshop oder Microsoft Photodraw derart, so dass Bilder ohne Gegenstandsbezug entstanden. Dazu eignet sich im Programm Fotoshop vor allem der Befehl „Kontrast erhöhen/verringern“ im Menü „Bild/Einstellungen“. Je höher man den Wert des Kontrastes prozentual angibt, auf desto weniger Graustufen reduziert sich das Bild. Gibt man den höchsten Wert ein, so bleiben im Extremfall nur die zwei „Farben“ Weiß und Schwarz übrig. Da ich mit den Schülern einen dreifarbigen Linolschnitt plante (weiß, mittelgrau, schwarz), reduzierten die Schüler den Kontrast dementsprechend. (Abb.4/5)
Allein dieses vorläufige Ergebnis überraschte viele Schülerinnen und Schüler sehr. Auch einige Filter wie z. B. „Pixel“, „Mosaik“, „Verzerrung“, „Schärfen“ und vor allem „Klonen“ bringen für die Schülerinnen und Schüler überraschende Ergebnisse hervor, besonders dann, wenn sich Filter und Effekte überlagen oder gar multiplizieren. Auf diese Weise gelangten die Schüler auf experimentelle Weise zu ungewöhnlichen, gegenstandslosen Bildern. (Abb. 1/2/6/11/14)
Analoge Bildveränderungen und Gestaltung der Linolplatte
Zunächst druckten die Schüler ihr digital bearbeitetes Bild in Graustufen aus. Dabei ist nicht gemeint, dass jeder digitale Ausdruck 1:1 auf die Linolplatte übertragen werden muss. Mit Pinsel und schwarzer, weißer und mittelgrauer Farbe wurden die Ausdrucke von den Schülern wiederum verändert. Einige Schüler bearbeiteten ihren digital bearbeiteten Ausdruck so nach, dass er sich für einen Linolschnitt leichter bearbeiten ließ. Das analog veränderte Bild wurde nun als Vorlage für den Linolschnitt verwendet. Dabei wurde in den meisten Fällen ein linearer Durchschlag erzeugt, um den Linolschnitt seitenrichtig zu drucken. Beim ersten Druckdurchgang wurde die Farbe grau gedruckt, im folgenden wurde die Platte weiter beschnitten, um anschließend die Farbe schwarz zu drucken.(siehe Abb.6 - 10 )
Resümee
Mit den Mitteln der digitalen Bildbearbeitung gelangten die Schüler in dieser Unterrichtssequenz zu ungewohnten und experimentellen Bildern. Die digitale Bearbeitung des Bildes mit Kontrast und Filter eignet sich sehr gut als Bildmotiv für einen Linolschnitt. Vor allem der Befehl „klonen“ scheinen für den Linolschnitt sehr geeignet zu sein, da man mit „klonen“ die Verteilung von schwarzen und weißen Flächen komplexer gestalten kann. Lohnenswert ist es in jedem Fall, bestimmte Linien, Flächen und Komponenten mit Farbe und Pinsel in welcher Form auch immer nach zu bearbeiten. In diesem Stadium können die Schülerinnen und Schüler bestimmte Bildkomponenten weglassen bzw. hinzufügen, Graustufenbilder – soweit noch nicht am Computer geschehen – auf Schwarz, Weiß und Grau reduzieren, auf alle Fälle nach ihrem persönlichen Geschmack verändern. Computergrafik und Linolschnitt lassen sich deshalb so gut mit einander kombinieren, da der Linolschnitt sowie der digitale Druck plakative Techniken sind, die weniger von der Materialität und Struktur der Farbe als vielmehr von der Komposition leben. Dieser Zusammenhang gilt natürlich gleichermaßen für den Holzschnitt und andere Hochdrucktechniken, vermutliche auch für alle handwerklichen Drucktechniken. Im nachhinein ergab sich für mich die grundsätzliche Frage: Könnte digitale Bildbearbeitung am Computer nicht generell am Anfang eines Bildfindungsprozesses stehen und deren Ergebnisse für alle handwerklichen Techniken als Motiv zur Verfügung stehen?
Zeigt die Bildbearbeitung am Computer nicht gerade ihre Stärke darin, dass sie die handwerklichen Techniken beeinflusst und verändert als „Lieferant“ neuer, origineller und ungewohnter Bildmotive dient? Öffnet nicht etwa die Veränderung der Bilder am Computer völlig neue Sichtweisen auf handwerkliche Techniken generell, also auch beispielsweise auf die Keramik, die Assemblage, die Collage oder das Environment? Diesen Fragen müsste in weiteren Unterrichtsreihen nachgegangen werden.
Powerpoint-Präsentation zum Thema ( 1,21 MB)
Christian Odato, 2005