Der Computer als kunstpädagogisches
Tool
Johannes Kirschenmann
Wird der Computer Instrument im Unterricht, verändert
sich das Unterrichtsarrangement: Schülerinnen und Schüler treten
mit unterschiedlichen Kenntnissen an Tastatur und Bildschirm. Viele haben
mehr instrumentelle Kenntnis als die Lehrkraft, andere befinden sich noch
in geschlechtsspezifischer Distanz gegenüber dem Medium und Werkzeug
oder bleiben ob schichtenabhängiger Barrieren fern (u. a.; Computer+Unterricht
24/1996: «Mädchen. Jungen und Computer» oder Mühlen-Achs/Schorb
1995).
Unterrichtsarbeit mit dem Computer fordert unterschiedliche
Kompetenzen und führt die Kompetenzen Einzelner zusammen. Schon die
oft dürftige Ausstattung mit Geräten nötigt die Lernenden
zur Kooperation am Bildschirm, Eingabegeräte wie Scanner, Digitalkamera
und Ausgabegeräte wie Drucker oder beschreibbare CD müssen arbeitsteilig
genutzt werden. Computer in der Schule sind meist durch ein Netzwerk verbunden;
und viele dieser Rechner sind inzwischen an das weltweite Netz des Internets
angeschlossen. Damit eröffnen sich neue Lernchancen durch Kommunikationsangebote.
Schule hatte schon immer den Auftrag, in der konkreten Ausformung so genannter
Schlüsselqualifikationen wie Kommunikations- und Teamfähigkeit
soziale Kompetenz zu befördern. Die computergestützten Telekommunikationsnetze
(zwischen Lernorten in einer Schule oder Schulen an verschiedenen Orten,
auch im fernen Ausland) fordern und fördern jene Lernweisen, die mit
arbeitsteiligen Verfahren der Problembearbeitung und des Ergebnisgewinns
verbunden sind (Peschke 1995, S. 5). So ist das Lernen in verschiedenen
thematischen Bereichen und das interkulturelle Lernen angesprochen (Computer+Unterricht
30/1998). Computernetzwerke können die Schülerinnen und Schüler
befähigen, Produzenten, Rezipienten und Kritiker von Information zu
werden. Computernetze ermöglichen asynchrone und kostengünstige
Kommunikation mit Bild und Text. Dies korrespondiert in vorteilhafter Weise
mit schulorganisatorischen Bedingungen. Computernetze erlauben den Zugriff
auf externes Wissen, sie tragen dazu bei, die Lernsituation in einen authentischeren
Kontext einzubinden. Lernen mit Computernetzen bedeutet auch eine Erhöhung
der Selbststeuerung durch die Schülerinnen und Schüler, Fragen
resultieren aus dem suchenden Lösungsprozess, was eine größere
Verarbeitungstiefe des Lernstoffes fördern kann (Gräse/Buhn/
Mandl/Fischer 1997, S. 4 ff.). Die pädagogische Forschung wird solch
optimistische Annahmen erst noch zu untersuchen haben. Seitenanfang
Netzarbeiter
Primär dienen Computernetze dazu, Informationen
sowie teilschrittige Arbeitsresultate mit anderen auszutauschen, differente
Kompetenzen in einem Projekt zusammenzuführen. «Der ‹Netzarbeiter›
denkt in globalen Arbeitszusammenhängen und strukturiert die Arbeit
entsprechend frühzeitig. [...] Ein von allen Plätzen aus fernsteuerbarer
Computer ermöglicht neue Formen der Diskussion. Der Reiz, eine Idee
- es kann auch ein dynamisches Objekt sein - allen zu präsentieren
und interaktiv zu diskutieren, ist groß» (Klein/Rockstroh 1995,
S. 26). Dabei arbeiten die Einzelnen nicht in Konkurrenz zueinander; Resultate
werden nicht hierarchisch strukturiert. Im Netz werden vorläufige
Zwischenergebnisse zusammengeführt, die Beteiligten reagieren, modifizieren,
synthetisieren, neue Teilziele kristallisieren sich heraus. Computerkompetenz
wächst jenen zu, die noch nicht über sie verfügten; und
Gestaltungskompetenz vermittelt sich jenen, die hier nachzuholen haben.
Verbinden die Netze Orte des Erkundens, Rezipierens oder
Produzierens mit den medienspezifischen Mitteln, so treten neue Lernchancen
mit neuen, wieder zu entdeckenden Lernorten neben das telekommunikative
Lernen, Peschke und Schulz-Zander sehen Varianten des verorteten Computers:
Der Computerfachraum ist innerschulischer Lernort, für alle Fächer
zugänglich, der Computer ist auf einer Medieninsel im Klassenzimmer
angesiedelt, die Computer ergänzen in der Bibliothek die Recherche,
sie sind Teil einer Lernwerkstatt - und die Lehrerin, der Lehrer ist bloß
Berater, weist Möglichkeiten auf: «Lernorte müssen soziale
Erfahrungen und Begegnungen bieten, da diese grundlegend für Prozesse
des Verstehens und Erkennens sind» (Peschke/ Schulz-Zander 1996,
S. 9). Seitenanfang
Tools: Der Computer im Kunstunterricht
Erfahrungen mit dem Computer im Kunstunterricht weisen
ein vielfältig zu nutzendes Werkzeug aus: Bildbearbeitung als Collage,
Verfremdung, serielle oder sequentielle Metamorphose von Bildern der Kunst
oder aus dem Alltag, mit einer Digitalkamera oder einem Scanner für
die digitale Marter eingeholt, ist eine Domäne, die sich dem kunstpädagogischen
Zugriff öffnet - die das Bild deutlich sichtbar oder manipuliert versteckt
zu einem anderen werden lässt. Schon preiswerte und einfach zu bedienende
Software erlaubt, Varianten von Zeichenstiften oder Malpinseln, Kreiden
oder Pastellen über unterschiedlich gradierte Kartons oder Leinwandstrukturen
zu führen. Nicht nur weil das Malen mit der Maus zunächst gewöhnungsbedürftig
ist - mit Grafiktabletts werden bessere Resultate erzielt - fehlen der
Pixelkunst wesentliche sinnliche Qualitäten tradierter künstlerischer
Mittel. Seitenanfang
Digitale Bilder
Bildbearbeitung am Computer heißt, in neuen Bildern
Wirklichkeit zu konstruieren. Die Welt der Jugendlichen ist mehr denn je
medial konstruiert. Warenästhetik, Musikfemsehen, unterhaltsam ummantelte
Informationen, neueste Lehrmedien, Computerspiele u. a. m. führen
geschickt und stets die Höhe der Zeit mit ihren aktuellen Mitteln
selbst definierend in das Reich der Bild-Realitäten hinein. Die Medien
setzen die Maßstäbe. Dabei hebt sich im jugendlichen Alltag
die - pädagogisch so oft postulierte - Differenz von empirischer und
virtueller Realität auf: «Dies reflektieren Jugendliche erfahrungsgemäß
nicht, sie tauchen einfach ein in die virtuelle Welt. Aus diesem Grund
sind Aufklärungsversuche, die sich allein auf die kritische Reflexion
stützen, nur bedingt tauglich» (Sondershaus 1998, S. 20). Für
dieses Leben zwischen den Realitäten, der «leib»haftigen
Dingwelt und dem Cyberspace, die nie trennscharf geschieden sind, müssen
Schule und Kunstunterricht sensibilisieren. Die Methode selbsttätiger
Erkundung als computergestützte ästhetische Praxis kann ein Erfolg
versprechender Weg sein.
Digitalkameras oder Scanner übernehmen die Funktion,
einen Datensatz, d. h. einen digitalisierten Zustand eines Ausschnittes
von Wirklichkeit bereitzustellen. So gerät das digitale Abbild auf
den Monitor am Schülerarbeitsplatz. Hier nun bieten die Softwareprogramme
die Optionen zum Verändern an, zum Verfremden, zur Montage und Collage,
zum Ausschneiden, Kombinieren oder Variation der Farben. Kompositionen
können verschoben werden, mit stilistischen Eingriffen kann ein neuer
Duktus hinzukommen - und all dies gehört schon lange zur einschlägigen
Software. Auch kostengünstige Programme warten inzwischen mit Filtern
auf, die die markierten Bildzonen nach vordefinierten Optionen verfremden,
Strukturen über den Bildgrund legen oder die Form bis zur Karikatur
verzerren. Das Bildbearbeitungsprogramm PHOTOSHOP nennt 14 Filtervarianten,
jede mit mehreren Optionen. So bietet der Kunstfilter folgende «Simulationen»:
Aquarell, Buntstiftstruktur, diagonales Verwischen, Farbpapier-Collage,
Fresko, grobe Malerei, grobes Pastell, Körnung und Aufhellung, Kunststoffverpackung,
Malgrund, Neonschein, Ölfarbe getupft, Schwamm, Tontrennung und Kantenbetonung.
Eine Aufreihung mit genügend Zündstoff für fachdidaktische
Kontroversen um Material, Authentizität und Nachahmung.
Christian Sondershaus berichtet von der digitalen Bearbeitung
fotografischer Porträtbilder, um seinen Schülerinnen und Schülern
Spanne und Differenz von Empirie und Virtualität mit der Aufgabe «Meine
zwei Gesichter» unmittelbar erfahrbar zu machen: «Je weiter
ein Mensch sich durch die Einbindung des eigenen Bildes in einen virtuellen
Raum von der empirischen Realität entfernt, umso näher ist er
der eigenen ‹Mythenbildung›, seinen Wünschen und Ängsten»
(Sondershaus 1998, S. 20). Eine diskussionswürdige These! Seitenanfang
Im Verändern sensibilisieren
Bildverwandlungen können auch ein Element der Bildanalyse
sein. Jürgen Stiller rät zur Veränderung der habitualisierten
Wahrnehmung eines Objektes, um für die besonderen gestalterischen
und damit auch kompositionellen Strukturen eines Werkes zu sensibilisieren
(Stiller 1998, S. 62).
Raimund Lehmann stellte in Kunst+Unterricht (194/1995,
S. 41ff.) vor, wie seine Schülerinnen und Schüler «Pferde
und Adler» von Franz Märe analysierend bearbeiteten; Farben
und Formen werden im ersten Kennenlernen des Computers zunächst nur
wenig verändert, weitere lösen sich mutig von der Marc'schen
Komposition. Abgesehen der Kunstzitate aus dem Farbdrucker resultiert für
alle Unterrichtsvarianten die Prämisse, dass der Umgang mit dem Computer
den Schülerinnen und Schülern Erfolge in gestalterischen oder
kunsthistorischen Fragen und Medienkompetenz in einem für sie neuen
künstlerischen Medium vermittelt (ebenda, S. 42). Seitenanfang
Schreibkulturen
Neben das Bild tritt der Text; Textverarbeitung ist für
Schülerinnen und Schüler neben den Computerspielen der primäre
Zweck der Computernutzung. Über die bloße Schreibmaschinenfunktion
hinaus fordern die Optionen der Software zur Gestaltung, zum Layout der
Texte heraus. Dies reicht von der typographisch sparsam-funktionalen Gliederung
eines Sachtextes bis zur visuellen Poesie. Auch mit den kostengünstigen
Programmen für Desktoppublishing rücken die Resultate aus dem
Schulcomputer in die Nähe professionellen Grafik Designs - wenn das
Werkzeug einerseits als Spielzeug Vielfalt hervorbringt, andererseits nach
vermittelten Gestaltregeln eingesetzt wird und man dazu die Spezifika der
digitalen Werkzeuge berücksichtigt. Seitenanfang
Hyperstrukturen
Lassen wir die Argumente zugunsten einer Arbeit im (Computer-)
Netz als Ergänzung und Variante in der Methodik gelten, so resultiert
für den Kunstunterricht die Option einer Hypertextarbeit im Klassen-/
Kursverband. Am Beispiel: Eine Lerngruppe hat zu einem Werk, sei es einer
Künstlerin oder eines Künstlers, einer fiktiven architektonischen
Aufgabe, zu einer Plakat- oder Anzeigenserie, zu einem Denkmal in der Stadt
oder dem Narrativen eines Videoclips gearbeitet - Auslegungen, Dokumentarisches,
Fragmentarisches liegen vor. Diese Segmente werden zunächst als Texte
in den Computer eingegeben, wechselseitig von den Schülerinnen und
Schülern redaktionell optimiert und korrigiert und nun - z. B. mit
Hilfe der Software BOOKMAKER (oder COMPOSER von Netscape) -zu einem Netz
verknüpft, bei dem jeder Knoten, jede Verzweigung gleichberechtigte
Alternativen des Fortgangs erlaubt. Die lineare Struktur traditioneller
Texte ist aufgehoben; Produktion und Rezeption der Hyperstrukturen folgen
den jugendkulturell codierten Wahrnehmungsmustern, die bei den Computerfans
vor allem durch Adventurespiele konditioniert werden. Die (wahrnehmungspsychologischen)
Perspektiven dieser Entwicklung sind unwägbar, offen: «Wo immaterielle
Pixelkonfiguration in Computersimulationen den Schein einer stabilen Gegenständlichkeit
auflösen, wird die Frage nach einer Referenz sinnlos» (Bolz
1994, S. 10).
Hypertexte als egalitäre Verweisungsalternativen
brechen mit wissenschaftsrationalistischer Stringenz. Im Widerspruch dazu
offerieren sie die kunstpädagogische Chance, Plurales und Differentes
gleichwertig als Deutungshilfe nebeneinander stehen zu lassen (vgl. zur
Vertiefung Deleuze/Guattari 1977, kunstpädagogisch ausgelegt u. a.
durch Meyer 1995).
Der Schritt von Hypertexten zu Hypermodalität, d.
h. dem Hinzutreten von Bild und Ton zum Text, ist klein. Wichtig ist aus
kognitionspsychologischer Sicht: Lernen, Wissenserwerb und Informationsverarbeitung
als Schlüsselqualifikationen werden gefördert. Mit Multicodierung
und Multimodalität, der genaueren Beschreibung des Begriffes Multimedia,
wird der Lerngegenstand mehrperspektivisch betrachtet, erscheint er in
variierten Zusammenhängen oder Umgebungen und ist auf unterschiedlichen
Abstraktionsstufen erfahrbar. Hypermediale Arrangements erweitern methodisch
die selbsttätigen Aktivitäten, vervielfachen die Lernstrategien
(Weidenmann 1995). Seitenanfang
Animierte Bilder
Animationen, d. h. vor allem das aus den Musikclips evozierte
Verlangen nach bewegten Bildern, lassen sich über eigene Softwareprogramme
(MEDI8OR, ANIMATOR STUDIO, Gif-Animation in PICTURE PUBLISHER, GIFCONSTRUCTIONSET
in PAINT SHOP PRO) generieren.
Der digitale Videoschnitt legt wesentliche Bedingungen
des Videoclips als des manipulierten, animierten Bildes in seiner für
Jugendliche faszinierendsten Form offen. Ohne überbordende Kosten
für die Hard- und Software können fremde und eigene Videoaufnahmen
mit Bildern und Tönen unterschiedlichster Herkunft vermengt werden;
die Faszination der Ästhetik solcher Produkte korrespondiert mit dem
Schrecken, der der Aufklärung über den notwendigen Verlust an
Bildvertrauen im Zeichen des Digitalen folgt. Simulierende Produktion schärft
den Blick der Rezipienten, weil die Produktion der massenmedialen Bilderwelten
erfahren, zu Teilen auch durchschaut werden kann.
Bilder, animierte Bildsequenzen, Tonspuren können
mit dem Computer und der Software so genannter Autorenprogramme zu multimedialen
Präsentationen verbunden werden. Die Netzstruktur des Hypertextes
wird mit den verschiedenen Medien ausgefüllt; einzelne Medienformen
und -inhalte werden zuerst generiert: Fotoaufnahmen, Werkreproduktionen,
ein erläuternder Kommentar und, wo passend, unterlegte Musik. Der
Aufbau einer multimedialen Sequenz verlangt für das gelingende Ensemble
ein hohes Maß an Planungskompetenz, an Koordination der verschiedenen
Erfahrungsstände. Eine eher technische Variante davon öffnet
sich mit dem Webpublishing; der Gestaltung und Veröffentlichung von
Informationsseiten im Internet, die oft über die Selbstdarstellung
der Schule hinausgehen, etwa hin zu einem interaktiven Projekt im Netz,
das als «Work in Progress» Partizipation, zumindest ein Feedback
anderer ermöglicht.
Bescheidener wäre ein Ansatz, über das Medium
Computer die Schülerinnen und Schülern zu einer Recherche zu
motivieren, um dann die Resultate davon in einer Dokumentation als abrufbare
Datenbank zu verknüpfen. So kann ein «Lexikon der Kunst»
(des Design, der Architektur o. a.) heranwachsen, das stets korrigiert,
erweitert werden kann, das Kommentare und weiterführende Hinweise
aufnimmt (vgl. u. a Grauel 1998.
Es wird deutlich: Mit dem Computer können artifizielle
Welten erzeugt werden, die ein Erfahrungspotential (und eine Lernchance)
eröffnen, zu dem ohne diese technischen Instrumente der Zugang beschwerlich
ist.
Medium und Werkzeug sind nüchtern und mit fachdidaktischer
Aufmerksamkeit zu werten; Distanz oder Ablehnung weichen so professionellem
Engagement, auch um die provokante These des Medientheoretikers Norbert
Bolz zu widerlegen, der das skeptische Herumschleichen um die digitale
Ästhetik als die historisch letzte Gestalt der tiefen Angst vor dem
Schein deutet (vgl. Bolz 1992, S. 123). Seitenanfang
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